Sehr geehrte Damen und Herren,
In den drei Jahren, in denen wir uns hier im kda mit dem Thema „Digitalisierung“ befassen, ist mir eines deutlich geworden: wenn man „Digitalisierung“ zum Thema macht, kann man dabei über alles Mögliche ins Gespräch kommen: über die Smartphone-Nutzung von Kindern und Jugendlichen, über Cyborgs und Pflegeroboter, über autonomes Fahren und digitales Drucken, über Fake News und Blockchain, über Augmented Reality und Künstliche Intelligenz.
Mit anderen Worten: Digitalisierung ist kein Thema, sondern ein Strauß von Themen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass wir, wenn wir über Digitalisierung sprechen, immer auch die Vielfalt unseres Lebens abbilden und an sehr grundsätzliche Fragen unseres Menschseins rühren – grundsätzliche Fragen etwa wie die, der wir uns heute gewidmet haben: Was macht die Digitalisierung eigentlich mit und aus der menschlichen Arbeit? Oder besser gesagt: Was wird aus uns Menschen, wenn die Digitalisierung das, was wir Arbeit nennen, total verändert?
Dieses „totale Moment“ an der Digitalisierung macht den Austausch darüber auch zu einer sehr emotionalen Sache. Da gibt es die einen, die euphorisch von „total coolen Sachen“ schwärmen, die dank digitaler Technik in Zukunft möglich sein werden – paradiesische Zustände eingeschlossen.
Und dann gibt es andere, die sich sorgen, sogar fürchten angesichts totaler Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten digitaler Technologien oder einer totalen Superintelligenz, die uns Menschen überflüssig zu machen droht. Das geht inzwischen so weit, dass die erste Kirche des digitalen Zeitalters gegründet ist. Deren Mission ist „die friedliche, gelassene Übergabe der Kontrolle über den Planeten“ an solch eine Superintelligenz.
All diesen Totalen der Digitalisierung ist eines gemeinsam: sie sind zunächst einmal menschliche Vorstellungen, in der Regel geboren aus Bildern von der Zukunft und / oder Bildern vom Menschen.
Wenn wir mit dem Titel unseres Buches und dieser Veranstaltung Digitalisierung als Lern- und damit als Bildungsaufgabe beschrieben haben, dann macht es aus meiner Sicht Sinn, genau hier erst einmal anzusetzen: bei den Bildern, die wir uns von der Digitalisierung machen. Denn diese Bilder sind eine gewaltige treibende Kraft hinter vielen Digitalisierungs-Trends. Es sind Spiegelbilder unserer selbst – manchmal fürchterlich entlarvend.
Das wird etwa da deutlich, wo Algorithmen afro-amerikanische Menschen als Affen identifizieren, weil sie vorher zum Lernen mit Bildern vorwiegend weißer Menschen gefüttert wurden. Oder da, wo Roboter wie Menschen konstruiert werden, obwohl dies für ihre eigentliche Funktionalität nicht notwendig wäre. Dies mag mit unserem Bedürfnis, ein menschenähnliches Gegenüber zu haben, zu tun haben. Es hat aber auch einiges damit zu tun, dass wir aus den vielen Science Fiction-Filmen und Serien schon längst gelernt haben, wie Roboter auszusehen haben.
Wir Menschen machen uns Bilder von der Welt. Riskant wird es immer da, wo wir das Bild mit der Realität verwechseln. Denn das heißt: dieses Bild wird alternativlos. In der Bibel wird daher an die Menschen appelliert, sich kein Bild von Gott zu machen. Und immer da, wo das einfache Gottesbild mit der viel größeren Gottesrealität verwechselt wird, spricht sie vom Götzenbild.
Digitalisierung ethisch lernen heißt daher gerade auch: Bilder der Digitalisierung, die sich als alternativlos darstellen, zu hinterfragen. Denn genauso wie das Götzenbild zu klein ist, um Gottes Realität einzufangen, ist unsere Zukunft viel offener als das, was digital je einzuholen wäre.
Eine Bildungsaufgabe, die Bilder als Bilder benennt und entlarvt, schafft damit etwas Wesentliches: sie erhält uns den Spielraum, den wir Menschen haben, einfach, weil wir auf der Welt sind. Theologisch gesprochen: weil Gott, unser Schöpfer, uns hier und heute gewollt hat – mit all unsrer Lebendigkeit. So würdigt diese Bildungsaufgabe, die zugleich Bilderkritik ist, zugleich den Menschen als Geschöpf Gottes – und sie preist Gott als Schöpfer.
Dies ist mir in einem Zusammenhang besonders wichtig. Im Silicon Valley geht die Rede von den Surplus Humans um, Menschen, deren Arbeitsleistung in einer digitalisierten Arbeitswelt nicht mehr benötigt werden. Menschen als überflüssig zu denken, ist nicht nur zynisch. Es ist auch in biblisch geschulten Ohren eine Gotteslästerung. Denn es unterstellt, dass Gott überflüssige Menschen schafft.
So ist die Rede von den Surplus Humans eben auch nicht alternativlos. Wie wäre es etwa, diese Rede mit einem Wortspiel zu kontern und von den Humans with Surplus zu sprechen? Dieses Wortspiel verweist auf die auch in der digitalisierten Arbeitswelt weiterhin bestehende Aufgabe, Menschen so wahrnehmen zu lernen, dass deren Gaben und Fähigkeiten, auch die bisher nicht wirklich erkannten, zum Tragen kommen. Wie gesagt, niemand ist überflüssig.
In diesem Sinne möchte ich Sie ermutigen, alternativlos erscheinende Bilder der Digitalisierung gerade da zu hinterfragen, wo Sie selbst mitreden und mitwirken können, damit die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung in Ihrem und im Sinne Ihrer Mitmenschen genutzt werden.
(Wort zum Abend bei der Veranstaltung „Arbeit 4.0 -Wie Digitalisierung ethisch zu lernen ist“ im eckstein Nürnberg am 10.10.2018)