Matthäus 16,5-16:
Und als die Jünger ans andre Ufer gekommen waren, hatten sie vergessen, Brot mitzunehmen. Jesus aber sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer! Da dachten sie bei sich selbst und sprachen: Das wird’s sein, dass wir kein Brot mitgenommen haben.
Als das Jesus merkte, sprach er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, was bekümmert ihr euch doch, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht? Denkt ihr nicht an die fünf Brote für die fünftausend und wie viel Körbe voll ihr da aufgesammelt habt? Auch nicht an die sieben Brote für die viertausend und wie viel Körbe voll ihr da aufgesammelt habt? Wieso versteht ihr denn nicht, dass ich nicht vom Brot zu euch geredet habe? Hütet euch vielmehr vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!
Da verstanden sie, dass er nicht gesagt hatte, sie sollten sich hüten vor dem Sauerteig des Brotes, sondern vor der Lehre der Pharisäer und Sadduzäer.
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
Liebe AEU-Mitglieder,
liebe Gäste,
eigentlich wollte ich heute Abend – wie ich es in der Regel bei unseren Veranstaltungen tue – den aktuellen Predigtabschnitt auslegen. Wer am Sonntag im Gottesdienst war, dem wird eines auffallen: Der Bibelabschnitt in unserem Programmheft ist ein anderer. Der Grund ist ganz einfach: Ich habe mich versehen. Nicht aus Matthäus 16, sondern aus Markus 16 kommt der Predigtabschnitt für diese Woche. Nun, zuerst habe ich mich über mein Versehen geärgert. Denn die Programme waren schon längst gedruckt. Dann habe ich mir beide Abschnitte nebeneinander gelegt und war doch erstaunt.
Gerne lese ich Ihnen vor, was im Markusevangelium steht, damit sie mein Staunen teilen können:
Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. Und als diese hörten, dass er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht.
Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie über Land gingen. Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht.
Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen.
Ich war erstaunt über eine wesentliche Parallele. In beiden Geschichten haben die Jünger ihre Sinne nicht zusammen. In beiden Geschichten sehen sie nicht, was sie sehen sollten, hören sie nicht, was sie hören sollten, verstehen sie nicht, was sie verstehen sollten. Und das vorösterlich wie nachösterlich.
Ich fand dies bemerkenswert, nicht nur, weil ich da einen kleinen himmlischen Kommentar zu meiner eigenen Datteligkeit herauslas, sondern vor allem, weil diese Jünger in beiden Geschichten verkannten, was tatsächlich los war. Ihr Vorstellungsvermögen dessen, was Gott möglich ist, war in der langen Zeit mit Jesus so gar nicht gewachsen. Vor Ostern – so groß wie eine Haselnuss; nach Ostern – so groß wie eine Haselnuss.
Stattdessen: Vernebelte Sinne. Nun wissen die Bibelprofis hier im Raum: Das ist tatsächlich ein Grundmotiv in den so genannten synoptischen Evangelien, gerade bei Markus – das Grundmotiv einer von Jesus berufenen, aber doch begriffsstutzigen Mannschaft.
Übrigens ein beliebtes Grundmotiv: Man könnte es jetzt schön auswalzen, über unsere eigene Begriffsstutzigkeit reden – natürlich abstrakt: also über die allgemein-menschliche Begriffsstutzigkeit, über die Begriffsstutzigkeit der Kirche, der Politik, der Wirtschaft… Das macht auch mir bisweilen Freude. Und hin und wieder macht es auch Sinn.
Dass ich das nicht möchte, liegt nicht nur daran, dass ich leibhaftig mal wieder erfahren habe, wie vernebelt meine eigenen Sinne sind. Über den eigenen Balken, das eigene Brett vorm Kopf ganz konkret zu reden, macht dann doch weniger Spaß…
Dass ich so nicht ansetze, liegt aber vor allem daran, dass mich eine ganz andere Frage beschäftigt: Hat sich denn mit Ostern überhaupt etwas verändert – an den Jüngern Jesu und damit auch an uns, mit uns, für uns?
Gerade die gelebte Geschichte des vergangenen Sonntags, des Weißen Sonntags, Quasimodogeniti, der Sonntag mit dem Namen „Wie die Neugeborenen“, diese gelebte Geschichte der Kirche an diesem Sonntag bis heute, die mag uns einen Hinweis geben.
Der Hinweis lautet: Ostern verändert uns, wenn es bei uns Ostern wird, wenn wir in die Ostergeschichte richtig einsteigen.
Schon in der Alten Kirche war Quasimodogeniti der Tag, an dem die Neugetauften noch einmal sich und der Gemeinde bestätigten, dass sie in diese Ostergeschichte richtig einsteigen. In der Osternacht frisch getauft, trugen sie erneut ihre weißen Taufgewänder und nahmen dabei zum ersten Mal an der Abendmahlsfeier teil.
Kein Wunder, dass bis zum heutigen Tag der Weiße Sonntag ein beliebter Termin ist für die Erstkommunion in der Katholischen Kirche. Und auch viele evangelische Kirchen feiern traditionell die Konfirmation, das Fest der Bekräftigung der Zugehörigkeit zu Christus und seiner Gemeinde, an diesem Termin.
In die Ostergeschichte richtig einsteigen – das geschieht natürlich nicht nur an solchen Festtagen. In die Ostergeschichte einsteigen, das ist eine tägliche Übung. Denn in die Ostergeschichte heißt „in einem neuen Leben wandeln“. So sagt es zumindest Paulus (Röm 6,4f.):
Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.
In einem neuen Leben wandeln – wie ist dies der Fall? Diese Frage zu beantworten, sprengt den Rahmen jeder Predigt, ja, jedes Menschenlebens.
Aber zwei Hinweise möchte ich doch geben, die sich für mich aus der Zusammenschau unserer beiden Geschichten ergeben, aus Matthäus und Markus 16.
Erstens: In dieses neue Leben steigt man nicht einfach ein. Man entnebelt nicht mal so seine eigenen Sinne. Aus dem Nebel der eigenen Begriffsstutzigkeit muss man gerufen werden. Und dieser Ruf, sofern er aus dem Nebel in das neue Leben führt, ist der Ruf Christi.
Christus ruft uns heraus aus den Sorgen um vergessenes Brot, um unsere vielfältigen Versuche, unser Leben zu versichern. Er ruft uns heraus aus den falschen Zeitansagen selbsternannter Unheilspropheten, selbstherrlicher Heilsprediger und verkniffener Regelhüter. Er ruft uns heraus aus unserem Unglauben, dass am Ende der Tod obsiegt. Und wenn wir diesem Ruf folgen, dann werden wir einen Schritt in dieses neue Leben tun, dann sind wir Herausgerufene, Ek-klesia, Kirche.
Zweitens: Haben wir einmal dieses richtige Leben im falschen erkannt, heißt das noch lange nicht, dass wir es in einer neuen Situation wieder erkennen. Derselbe Petrus, der in Matthäus 16 voll Inbrunst ruft: „Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“, ist Teil des Jüngerkreises, der in Markus 16 weder Maria von Magdala noch den Emmausjüngern glaubt, als sie die Auferweckung des Gekreuzigten bezeugen.
Das neue Leben, das kommt immer wieder in anderer Gestalt zu uns. Deswegen bleiben wir stets darauf angewiesen, dass uns der Ruf Christi dieses neue Leben erschließt, fragend-werbend, wie er dies im Matthäusevangelium tut, oder mit deutlichen Worten, wie er im Markusevangelium spricht, oder noch einmal ganz anders…
Dass dieses neue Leben den Tod überwunden hat, das wissen wir seit Ostern. Wie dieses neue Leben in die tausend Tode kommt, die wir so sterben, dafür brauchen wir unser ganzes Leben. Mit Christus an der Seite ist dies eine gute Nachricht. Amen.