Immer wieder wird behauptet, in Deutschland und damit auch in der deutschen Wirtschaft mangele es an einer Kultur der Fehlerfreundlichkeit. Das mag auf einige oder sogar viele Unternehmen zutreffen. Als Pauschalaussage ist es vermutlich verkehrt. Viel interessanter ist jedoch die Frage, ob ein Unternehmen eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit überhaupt anstreben sollte. Eigentlich leuchtet solch eine Zielsetzung im ersten Moment nicht ein.
Als Kunde jedenfalls wünsche ich mir nicht, dass Produkte, die ich kaufe, voller Fehler sind: Uhren, die schnell den Geist aufgeben, Staubsauger, die nur die Hälfte saugen, Autos, deren ABS im Zweifelsfall nicht greift.
Unternehmen, die Fehler machen, werden sich dauerhaft am Markt nicht behaupten, weil Kunden ihre Produkte nicht kaufen. Sollte dann nicht eher eine Kultur des Perfektionismus angestrebt werden?
Nun ist es so banal wie wahr: In Unternehmen arbeiten Menschen – und Menschen machen Fehler. Die Frage stellt sich also gar nicht, ob Perfektion als Dauerzustand erreichbar ist. Vielmehr stellt sich die Frage, wie in einem Unternehmen mit den Fehlern umgegangen wird, die nun einmal passieren.
Wo Fehler als Möglichkeit gar nicht in Betracht kommen, funktioniert die gelebte Unternehmenskultur in der Regel wie ein Schwarze Peter-Spiel. Bloß nicht erwischen lassen und den Schwarzen Peter dem Nächsten zuschieben. Am Ende verliert der, der nicht schnell oder geschickt genug ist – oder keine Lust hat, sich an solch einem Spiel zu beteiligen. Im Volksmund spricht man dann auch vom Sündenbock.
Das Problem ist jedoch, dass der Fokus sich verschiebt. Statt sich den eigentlichen Aufgaben zu widmen, geht viel Zeit und Kraft dabei drauf, den Sündenbock zu finden. Wie viel Energie wird tagtäglich in deutschen Unternehmen damit verschwendet, Fehler zu vertuschen und weiter zu schieben? Es wäre interessant, hierfür einmal den volkswirtschaftlichen Schaden zu berechnen. Er dürfte beträchtlich sein.
Wäre es hingegen nicht ein echter Gewinn, die Fehlersuche gemeinschaftlich zu betreiben und dabei eine gewisse Nüchternheit und Kollegialität walten zu lassen? Fehler als Lernbeispiele heranzuziehen, um Dinge in Zukunft ein klein wenig besser zu machen?
Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sich eingesteht, ein fehlbarer Mensch zu sein. Das mag für manche schwer sein, setzt einen am Ende jedoch innerlich frei. Es nimmt den Fehlern die Macht – die Macht darüber, mich grundlegend zu definieren, meinen Wert, meine Existenzberechtigung, meine Vergangenheit und meineZukunft.
Christlich gesprochen: Auch als fehlbarer Mensch bin ich geliebt. Denn nicht meine Fehler bestimmen, wer ich bin. Gott tut es, der mich sein geliebtes Kind nennt. Das bleibe ich, egal, ob mir’s nun gelingt oder nicht. Das ist die gute Nachricht, nachzulesen in der Bibel, etwa sehr prominent in der Geschichte vom Verlorenen Sohn (Lukasevangelium, Kapitel 15). Mit gutem Grund ist vielen Menschen diese biblische Geschichte besonders wertvoll. Was aber wäre möglich, wenn in Unternehmen ausgehend von dieser Geschichte eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit eingeübt würde?