Vom Menschen reden in digitalen Zeiten

  1. These:

Der Mensch vor Gott ist nicht Gott, sondern Gottes Geschöpf. Was das bedeutet, begreift der Mensch durch andere Menschen, die ihm ein Gegenüber sind in Zuspruch und Widerspruch, nicht durch Maschinen, die ihn spiegeln und zur Empörung reizen.

„Personalisierung heißt auch Einschränkung“. So hat es Herr Hartung ja gestern gesagt und zugespitzt mit den Worten: „Was ich bin, ist gut.“ Hilfreich, diese Zuspitzung, denn sie erinnert mich an eines meiner Lieblingsmärchen, das von des Kaisers neue Kleider. 

Alle sagen doch: „König, dein Kleid ist wunderschön.“, bis ein Kind ausspricht, was alle sehen: Der König ist nackt.

Dieses Kind allein ist dem König ein Gegenüber in der Geschichte, ein notwendiges, ein heilsames Gegenüber durch seinen Widerspruch.

In der Schöpfungserzählung heißt es, dass Gott den Menschen als Zwei geschaffen hat. Gott gibt den Menschen ein Gegenüber. Der Mensch ist von Anfang an face to face. Der Mensch braucht das, ein Gegenüber, das ihm und ihr zuspricht, dass ihm und ihr widerspricht, um sich nicht zu verlieren. 

Der Mensch braucht Zuspruch. Im Zuspruch weiß er, dass er gemeint ist, erlebt sie, dass sie wahrgenommen wird. Ich denke, das ist wohl der Unterschied, Frau Bulander, wenn ich weiß, ob ich mit einem Roboter oder einem Menschen am Telefon rede. 

Ein Roboter kann mich nicht meinen, weil er ja nicht mich hört und sieht, sondern meine Worte anhand von Regeln auswertet. 

Und das ist eben etwas anderes. Roboter sind nicht, auch nicht künstlich intelligent. Sie verstehen nichts. Nur Menschen verstehen – und können damit in Beziehung treten.

Wenn ich mir eine Dienstleistung, eine Funktionalität erwarte, ist das auch völlig ok, mit einem Roboter zu reden. Wenn ich in Beziehung treten will, dann brauche ich einen Menschen.

Und Widerspruch? Widerspruch braucht der Mensch, um zu wissen, dass er Mensch ist und nicht Gott. Mensch ist und bleibt der Mensch nur unter Menschen, die ihm widersprechen und damit deutlich machen, dass er nicht Herr der Welt ist. 

Um dies zu verstehen, muss man nicht erst an Donald Trump denken, wie wir es gestern getan haben.

Umso heikler ist es eben, wenn in der digitalen Welt der Widerspruch herausprogrammiert wird und die Menschen damit vergessen, dass der Widerspruch etwas Normales, Menschliches, Notwendiges ist – und sie stattdessen zu Menschen erzogen werden, die sich empören. Majestätsbeleidigung!

Im Widerspruch gehe ich in die Beziehung mit dem anderen, in der Empörung dient der andere mir lediglich als Projektionsfläche meiner Gefühlslage. 

Da ist sie wieder, die Beziehung – und da ist wieder mein Unglaube, dass Maschinen Widerspruch können, weil sie dazu fähig sein müssten, in Beziehung zu gehen. Dazu verstehen sie nix – gerade von Beziehung.

Ob Maschinen diese menschliche Gabe so abbilden können, wage ich zu bezweifeln. 

Zumindest nehmen wir derzeit eher wahr, dass sie oft genug programmiert werden, um zu funktionieren, wie alle, die dem König zujubeln. Wem geschmeichelt wird, der zahlt gerne dafür. 

Das führt mich schon zu meiner 2.These:

Der Mensch vor Gott ist kein Sklave; vielmehr ruft Gott den Menschen mit seinem Namen, segnet ihn und beginnt eine neue Geschichte mit ihm.

Friedhelm Wachs hat gestern eine für mich sehr wichtige Frage gestellt, die mich auch schon länger beschäftigt. Du hast sie so gestellt: „Lassen wir es weiter zu, dass hinter Netflix-Serien mehr Psychologen arbeiten als Schauspieler oder Regisseure?“

Algorithmen werden genutzt und das Design von Plattformen so gestaltet, dass sie abhängig machen. Mit gutem Grund sprechen wir vom Binge Watching in Anlehnung ans Binge Eating.

Dahinter steht für mich eine alte Frage: Ist es akzeptabel, dass Menschen versklavt werden? Und diese Frage führt zu einer alten Diskussion: Wer ist verantwortlich für die Versklavung, der einzelne Mensch, der doch anders könnte, weil er Alternativen hat, oder die, die den wie auch immer gesetzten Rahmen schaffen, der Sklaverei ermöglicht, gar fördert? 

Beides haben Sie, Herr Dr. Bulander, ja thematisiert: ja, es gibt Alternativen zu Google, Facebook oder Amazon für uns, aber gibt es Alternativen für die Kinder in den afrikanischen Minen?

Ich möchte diese Diskussion nicht führen, aber doch darauf hinweisen, dass der Gott der Bibel kein Gott ist, der Sklaverei befürwortet. Vielmehr ist der Gott der Bibel einer, der aus der Sklaverei herausführt – sowohl, indem er eine Alternative bietet – paradigmatisch das Gelobte Land für das Sklavenhaus Ägypten, als auch, indem sich Gottes Gerechtigkeit in Rechtsprechung und Rechtsetzung niederschlägt, die die Schwachen vor den Übergriffigen schützt.

Und Rechtsprechung und Rechtsetzung haben oft genug damit angefangen, dass Menschen, deren Stimmen unterdrückt wurden, sich Gehör verschafft haben und mit ihrem Namen und ihrer Geschichte wahrgenommen wurden. Im Buch der (wohlgemerkt) Richter im Alten Testament ist dies paradigmatisch ein ums andere Mal beschrieben: 

das Volk ruft Gott an angesichts einer Erfahrung der Unterdrückung und Gott sendet einen Richter oder eine Richterin, um das Volk zu befreien und damit Recht zu schaffen.

Das heißt aber: Gottes Geschichte mit den Menschen ist immer wieder bedroht, Unterdrückung und Versklavung treten in immer neuen Facetten auf. Gut, wer dann nicht vergisst, Gott anzurufen.

Wer nicht mehr weiß, wie dieses Anrufen geht, der hat übrigens in den Psalmen einen reichen Schatz, um sich darin einzuüben. Kein Wunder, denn der Ort der Psalmen war der Tempel in Jerusalem. Dort durfte man zur Sprache bringen, was, ja wer einen bedrückte und versklavte, und erwartete dann einen Rechtspruch Gottes.

  • These:

Der Mensch vor Gott ist kein Datensatz, sondern Leib. Nur dadurch ist er wirklich in der Welt.

Wie ich gestern bereits erwähnt habe, ist mir dies noch einmal sehr bewusst geworden, als Herr Farwick beschrieb, dass die Feldpost im digitalen Zeitalter mehr geworden ist. Warum? Ich denke, weil sie das leibliche Bedürfnis der Soldaten viel besser bedient als eine E-Mail. Als leibliche Wesen haben wir Sinne, mit denen wir die Welt wahrnehmen. Einen Brief kann man berühren, man kann die Farbgebung und Form der Schrift wahrnehmen und daraus Schlüsse ziehen, man kann ihn riechen (vielleicht das Parfum der Geliebten?) und man kann ihn aufbewahren an einem besonderen Ort. 

All das ist mehr als ein Facebook-Post kann – und es macht einen Unterschied. Denn über die Sinne unseres Leibes nehmen wir unsere Welt überhaupt wahr.

Entwickler von humanoiden Robotern sind sich dieser Wesensart des Menschen bewusst. Sie simulieren ja Menschlichkeit, um die menschlichen Sinne zu täuschen, an denen man eben nicht vorbeikommt.

Die Leiblichkeit wurde gestern auch in einem anderen Zusammenhang noch einmal deutlich, als es um das autonome Fahren ging. Dass man nicht einfach autonom fahrende Autos auf die Straße lässt, hat mit der Tatsache zu tun, dass wir alle wissen, dass wir verletzlich sind. Und unsere Verletzlichkeit hängt an unserer Leiblichkeit. Nur mit unserem Leib sind wir in dieser Welt. 

Selbst der Auferstandene hatte einen Leib, um in dieser Welt zu sein und wahrgenommen zu werden. Und dieser Leiblichkeit werden wir gerecht, wenn wir die Gegenwart des Auferstandenen in Leib und Blut und dabei leiblich und das heißt ja: mit unseren leiblichen Welterfahrungen miteinander feiern, wie wir es heute Morgen getan haben. Das Wort ward Fleisch – und wird es immer wieder. So kommt Gott in die Welt, so kommt Gott zu uns.

Geliebte AEU-Gemeinde,

zusammengefasst lässt sich sagen: wenn wir vom Menschen vor Gott reden, dann dürfen wir dankbar von dem reden, was uns mitgegeben ist:

  1. Gott segnet uns, so dass wir keine Sklaven sein müssen und niemand versklaven  brauchen.
  2. Gott schenkt uns einander, so dass wir nicht Gott spielen müssen, sondern in Beziehungen leben können.
  3. Gott schenkt uns einen Leib, so dass wir Teil der Welt sein können und Gott uns berühren kann.

Achten wir auf diese Gaben, wenn wir die digitale Revolution gestalten. Amen.

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