Die Freiheit eines Christenmenschen als Voraussetzung gelingender Personal- und Selbstführung

Wann hat Sie das letzte Mal jemand gefragt: „Wie geht es dir?“ Diese Frage, hoffe ich, werden Sie alle beantworten können. Denn ich hoffe sehr, dass es in Ihrem persönlichen Umfeld Menschen gibt, die Ihnen diese Frage hin und wieder stellen.

Und wann hat das letzte Mal jemand in Ihrem Unternehmen, aus Ihrem Mitarbeiterstab, aus Ihrem Kundenumfeld diese Frage gestellt und eine Antwort von Ihnen erwartet, die von Herzen kommt? Eine Antwort jenseits von den dienstlichen Verpflichtungen, von der Bewertung branchenüblicher Aufs und Abs, vom Gerede im Betrieb? Eine Antwort, die Sie als Person meint, nicht als Funktion?

Ich stelle diese Fragen, um uns vor Augen zu führen, in welchen Bezügen wir uns mit der Freiheit eines Christenmenschen eigentlich befassen. Unternehmerisches Handeln ist interessegeleitet und muss es auch sein. Man trägt Verantwortung in einem kompetitiven Kontext. Man steht gerade für die Erfolge und die Misserfolge des eigenen Betriebs, der eigenen Abteilung, der eigenen Mannschaft. Das wird von einer Führungskraft erwartet. Dafür wird sie bezahlt.

Zudem – auch das gehört dazu – will man sich entwickeln, Chancen nutzen, vorankommen, Karriere machen, Erfolge feiern. Dabei sollte man immer wieder glänzen, hervorstechen – und sich auch schützen vor den Interessen anderer. Man muss Konflikte austragen – mit dem Degen oder mit dem Florett. Und manchmal sieht man es nicht kommen, dass man an der Nase herumgeführt, hineingelegt, vorgeführt wird. All das beeinflusst die Beziehungen, die man im Betrieb hat – zu seinen Mitarbeitern und auch zu sich selbst in der Funktion, die man ausübt, in der Rolle, die man spielt.

Es ist eine Welt, in der es nicht in erster Linie um das Seelenheil des Menschen geht – und gerade deswegen ist es ein Kontext, in dem es gut wäre, sich die Frage Jesu immer wieder gefallen zu lassen:

„ Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Die Sorge um die Seele der Menschen trieb auch Martin Luther damals um. Sie machte ihm mehr unfreiwillig als freiwillig zum Reformator seiner Kirche. Und sie ließ ihn auch seine berühmte Freiheitsschrift niederschreiben, die er selbst als „die Summe des christlichen Lebens“ beschreibt und deren Grundthese Sie in der Einladung zum heutigen Personal Round Table nachlesen konnten:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Es lohnt, sich diese Schrift einmal in ihrer Gänze durchzulesen, um den Gedankengang, den Luther hier entfaltet, nachzuvollziehen. Heute früh will ich diesen Gedankengang pointieren und dann ein paar Impulse geben, was diese Überlegungen Luthers für die betriebliche Praxis eines Christenmenschen bedeuten könnten.

Zunächst einmal, sehr zugespitzt: Gute Werke tun, die Gebote Gottes halten – das alles ist eine gewaltige Falle, wenn man es aus dem falschen Motiv tut, nämlich um sein Seelenheil zu erwerben, um als Frommer, als Tugendhafter vor Gott und der Welt zu glänzen. Gute Werke taugen nicht zur Selbstdarstellung. Das ist eine Absage an eine Tugendethik, wenn dabei der Tugendhafte im Mittelpunkt des Interesses stehen soll, und es stellt die breit geführte Wertedebatte in Frage als Ausgangspunkt eines christlichen Ethos.

Warum aber ist dies so? Weil das Halten aller Gebote Gottes nichts wert ist, wenn dabei nicht Gott die Ehre gegeben wird, sondern das Eigene gesucht wird – und sei es das eigene Seelenheil. Luthers Ethik ist eine Ethik des 1.Gebotes, so wie er sie im Kleinen Katechismus bei seiner Auslegung des Dekalogs ausbuchstabiert. Die Auslegung jedes Gebotes wird dort mit folgendem Satz eingeleitet: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass…“. (vgl. FeC, 11/13)

Am Anfang eines Christenlebens steht die Einsicht, dass wir nicht Herr unserer selbst sind und auch nicht werden, wie gut wir uns auch führen. Es geht um die Einsicht, dass wir nicht aus uns selbst leben, sondern „von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ (Mt 4,4 resp. Dtn 8,3) Gott hat uns seinen Atem eingehaucht, Gott hat uns eine Stimme gegeben, die uns ausmacht, woran uns das hebräische Wort für „Seele“ erinnert: „Näphäsch“, das heißt übersetzt „Kehle“, und meint den Sitz der Identität. Unser Dasein und unser Sosein hängt allein an Gottes Gnade, an seinem Wunsch und Willen, dass wir sind.

Glauben nun heißt, es sich gefallen zu lassen, dass es einfach so ist, dass Gott „meine Nieren bereitet und mich gebildet im Mutterleibe… dass seine Augen mich sahen, als ich noch nicht bereitet war und alle Tage in sein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner war.“ (Ps 139,13.16)

Worin aber liegt die Freiheit in diesem Szenario, das als deterministisch, als fremdbestimmt wahrgenommen werden kann. Sie liegt darin, wie sich Gottes Herrschaft in Christus offenbart. In ihm wird uns Gott als einer kenntlich, der uns alles schenkt, was wir meinen, uns hart erarbeiten zu müssen. In ihm empfangen wir, was wir begehren, weil Gott schon immer weiß, was wir brauchen. In ihm werden wir bewahrt vor allem, was wir fürchten, weil Gottes Macht einfach immer größer ist und sein Wille bleibt. Hierin liegt der Ursprung der Rede von den Christen als Königskinder und dem Priestertum aller Gläubigen. Königskinder, weil „wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ (Röm 8,28). Priester, „denn Gott tut, was ein Christenmensch bittet und will, wie im Psalter geschrieben steht: ‚Gott tut den Willen derer, die ihm fürchten, und erhört ihr Gebet.’“ (Ps 145,19) – so Luther (FeC, 16).

Mit anderen Worten: Ein Christenmensch ist frei von Selbstbeherrschung, weil er sein Selbst in Gottes Hand besser aufgehoben weiß, er ist frei von Existenzangst, weil er weiß, dass seine Tage von Gott gezählt sind, und er ist frei von Menschenfurcht, weil er weiß, dass Menschen zwar „den Leib, doch die Seele nicht töten können.“ (Mt 10,28)

Wozu dann aber die Gebote, wozu dann die guten Werke? Darauf gibt Luther eine pragmatische und eine logische Antwort. Die pragmatische lautet: Weil Christenmenschen nun mal in der Welt und von Menschen umgeben sind und sich zu diesen verhalten müssen. Wir können uns eben nicht nicht verhalten. Die logische lautet: Wenn ein Christenmensch der ist, der „Gott fürchtet und liebt“, dann wird ihm dies auch aus allen Ohren triefen. Wenn ein Christenmensch der ist, der sich in unerschöpflicher Weise als reich beschenkt begreift, dann wird er einfach teilen. Wenn ein Christenmensch der ist, der keine eigene Agenda mehr braucht, da alles, was für ihn getan werden muss, bereits getan ist, dann hat er nichts zu tun außer dem, was ihm vor die Füße fällt. Wenn ein Christenmensch der ist, der aus Gottes Zuwendung lebt, dann wird in seinem Leben diese Zuwendung Gottes anderen transparent.

Wie aber übersetzt sich dies nun in die Fragen der Selbst- und Personalführung, die wir heute besprechen wollen. Ich möchte mit drei kurzen Impulsen Gedankenanstöße geben:

1. Die Freiheit zum Dienst finden

Wer über Luthers Traktat im betrieblichen Kontext nachdenkt, kommt um einen Aspekt nicht herum: Die Frage, wie sich Freiheit und Macht zueinander verhalten. Gemeinhin wird ja angenommen, dass die Gestaltungsfreiheit in Hierarchien, wie sie Unternehmen zumeist sind, nach oben hin eher zunimmt. Wer jedoch mit Macht ausgestattete Führungskräfte schon nahe erlebt hat, der weiß, dass die Gestaltungsfreiheit ihrer Position auf der anderen Seite paradoxerweise mit einer Vielzahl von Zwängen, Bindungen und Verpflichtungen, formalen wie informellen, verbunden sind. Ich bin sogar geneigt zu sagen, dass der Freiheitsgrad in höheren Gefilden eher abnimmt, da der Verantwortungsbereich größer und damit das Interessengeflecht umfangreicher und komplexer wird. Das Risiko besteht also, auf dem Weg nach oben die eigene innere Freiheit zu verlieren und die Gestaltungsfreiheit, die man besitzt, vor allem dazu zu gebrauchen, seine eigene Position im Dickicht der Interessen abzusichern. Hier ist der grundsätzliche Impuls Luther als sehr wertvoll zu betrachten, dass am Ende die Freiheit, die bleibt, nicht die ist, die wir meinen, uns in der Gestaltung unseres Lebens zu erwerben, sondern die Freiheit, die darin liegt, sich als Kinder Gottes wissen zu dürfen.

Es braucht jedoch immer wieder Momente, dies auch zu erfahren, es sich zusagen zu lassen. Macht hat viel damit zu tun, welchen Stimmen ich Gehör schenke, von welchen Stimmen ich mich bestimmen lasse. Wenn Führungskräfte als Christenmenschen die Freiheit zum Dienst finden wollen, dann brauchen sie Momente, in denen sie der Stimme Gottes in ihrem Leben Gehör schenken. Sie brauchen Momente, in denen sie sehr bewusst sich von der Unfreiheit der Welt auf den Weg machen zur Freiheit der Kinder Gottes.

2. Nach der guten Nachricht suchen

Es gibt Situationen im Leben einer Führungskraft, die sie vor schwere Entscheidungen stellt. Konflikte im Team oder zwischen Interessengruppen, ethische Dilemmasituationen, das notwendige Stellen von Weichen in unübersichtlichem Terrain, der Umgang mit eigenem Fehlverhalten – Situationen, in denen Führungskräfte nach der guten Nachricht händeringend suchen. Es mag einen Versuch wert sein, in solchen Momenten sich biblischer Geschichten oder Verse zu erinnern oder mit Vertrauten danach zu fragen, wo in der Geschichte Gottes mit seinen Menschen, die – so ists gut lutherisch – uns biblische überliefert ist, Menschen in ähnlichen Situationen gesteckt haben.

Sonntag für Sonntag predigen wir so, dass wir die biblische Botschaft in das Leben der Menschen hineinsprechen. Man kann jedoch genau andersherum verfahren und eine eigene Lebenssituation bewusst in das Licht einer biblischen Botschaft, einer biblischen Geschichte stellen und sich auf diese Weise anleiten lassen.

3. Jemanden ins Gebet nehmen

Was ich Ihnen zum Schluss erzähle, ist eine Entdeckung der letzten Zeit für mich – und vielleicht auch für Sie eine Anregung. Wenn mich Menschen in meinem Leben gerade negativ berühren, ist dies Anlass für mich, sie ins Gebet zu nehmen. Ich kann nur sagen, dass ich damit gute Erfahrungen mache. Wenn ich diese Menschen und mich im Gebet vor Gott trage, dann gibt mir das eine neue Freiheit im Umgang mit ihnen, die ich vorher aufgrund meines Ärgers, meiner Verletztheit, meiner Enttäuschung nicht hatte. Das spart viel Kraft. Ich grüble nicht mehr so viel hin und her. Ich ignoriere aber ebenso wenig, was geschehen ist. Und ich erlebe, wie wenig sie mir antun können….

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