Philipper 4.4-7: Freut euch im Herrn allezeit. Und immer wieder will ich es sagen: Freut euch! Laßt alle eure Menschen eure Zartheit erfahren. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern worum ihr zu bitten habt, das lasst in Gebet und Fürbitte mit Dank vor Gott kommen. Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle Vernunft, halte die Wacht über eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Sorgt euch um nichts!“ So schreibt’s der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Philippi. „Mach dir mal keine Sorgen!“ So sagt man’s ja manchmal – beruhigend, besänftigend, vielleicht auch, weil man nicht belästigt werden möchte. Eines anderen Sorgen, seien wir ehrlich, können auch richtig nerven, gerade wenn man selbst mit eigenen Sorgen genug zu tun hat.
„Sorgt euch um nichts!“ Wie klingen diese Worte heute, kurz vor Weihnachten, nach einem vermutlich intensiven Arbeitsjahr in Ihren Ohren? Nach erfolgreichen und weniger erfolgreichen Tagen? Nach all dem, was dieses Jahr so auf uns zugekommen ist?
Nach „Wir schaffen das.“ und der Rede von Obergrenzen, nach Bildern von kenternden Nußschalen voller Menschen, Massenwanderungen auf Autobahnen, Willkommensszenen auf deutschen Bahnhöfen und bewaffneten Hundertschaften hinter Maschendrahtzäunen? Nach Szenen des Gemetzels in der Stadt der Liebe, dort, wo die Menschen zum Feiern und Party machen, zu Sport und Spiel zusammen kommen und stattdessen Terror erleben? Nach Nachrichten, das deutsche Ingenieurskunst und IT-Know-how im Dienste der Trickserei gestanden und dabei – wer weiß, wie große? – Kratzer im Lack der Marke „Made in Germany“ hinterlassen haben?
„Sorgt euch um nichts!“ Wirklich? Ja, wirklich. Der Apostel meint das allen Ernstes. Wir dürfen es ihm abnehmen. Denn diese Zeilen wurden nicht geschrieben bei einem Glas Rotwein im Kreise der Familie bei wohligem Kerzenschein in friedlicher Atmosphäre. Diese Zeilen kommen aus dem Knast – und auch damals waren Knäste nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Gute Zeiten hatte Paulus gewiss nicht hinter sich – geschmäht, verfolgt, eingekerkert. Und auch die Gemeinde, an die er schrieb, war offensichtlich in der Krise. Tiefe Konflikte, Streitigkeiten gehörten zum Alltag. Das klingt aus den Zeilen des Paulus. Genug Grund zur Sorge also.
„Freut euch im Herrn allezeit. Und immer wieder will ich es sagen: Freut euch! … Sorgt euch um nichts!“ Mal ehrlich, wer denkt da nicht: dieser Kerl kann doch nicht ganz von dieser Welt sein? Ist er aber gewesen. Vielleicht noch mehr, als wir es sind, wenn wir uns in den offensichtlichen Sorgen verlieren – und das dabei übersehen, was Paulus sieht und voraussetzt, wenn er solche Zeilen zum Besten gibt.
Was setzt er voraus? „Der Herr ist nahe.“ Das setzt er voraus. Der Herr ist uns nahe, näher als alles andere. Wenn unsere Sorgen uns so in unsere Glieder fahren, dass wir meinen, nur noch daraus zu bestehen, dann ist dieser Herr uns noch näher. Immer noch näher.
Denn dieser Herr, von dem Paulus, spricht, ist einer, der nicht von oben herab ist, sondern mittendrin, nicht souverän, sondern angreifbar, nicht cool und lässig, sondern zart und zärtlich. Nah und nahbar.
Er, der in göttlichem Dasein lebte, … hat sich dessen entblößt, um in ein Sklavendasein einzutreten, so wie es die Menschen leben, ihnen gleich.
So schreibt er es, dieser Paulus. Ein Gott, uns gleich – und damit so nahe, so nahe, dass uns unsere ganze Realität, auch unsere harsche Realität, einholen kann und wir dabei nicht in Angst und Sorge umkommen müssen, uns in den Abgründen unserer Existenz nicht verlieren, uns als Sklaven unserer eigenen Moral nicht pflichtbewusst aufarbeiten müssen.
Das ist Weihnachten. Gott ist uns so wunderbar nahe und löst in seiner Zartheit unseren ganzen menschlichen Krampf, diesen Krampf, durch den wir tagtäglich versuchen, in größtmöglicher Würde und Anstand irgendwie alles, was in uns so brodelt, zusammenzuhalten und dabei ein möglichst gutes Bild anzugeben. Er löst diesen Krampf. Er schenkt uns Frieden und macht uns zart. Das ist Weihnachten.
Die Sehnsucht nach diesem Handeln Gottes an uns bringen wir ja auch irgendwie zur Sprache, wenn wir uns „besinnliche“ oder „erholsame“ oder „entspannte Feiertage“ wünschen, wenn wir uns gegenseitig „Frohe“ oder „Friedvolle Weihnachten“ zusprechen.
Wir spüren diese Sehnsucht vielleicht auch für diesen Moment im Gottesdienst, wenn wir „Stille Nacht, heilige Nacht“ oder „O du Fröhliche“ singen, wenn wir die Englein und Hirten im Krippenspiel erleben.
Diese Sehnsucht sitzt meist auch am Tisch und unter dem Baum am Heiligen Abend und kann doch zum Krampf werden, wenn unser Familienfriede nicht so hält, wie unsere Sehnsucht nach dem wahren Weihnachtsfrieden es von uns und den anderen erwartet. Und sie schwingt mit bei den Geschenken, wobei wir zumindest ahnen, dass dieser Friede nichts ist, was wir mit Mastercard bezahlen könnten.
Die ganze Wohligkeit, Ergriffenheit, auch der Kitsch von Weihnachten drückt diese Sehnsucht aus nach diesem Frieden. Daher ist es so gut, dass wir Weihnachten als Fest begehen, um zumindest diese Sehnsucht in uns wieder zu entdecken, die über das Jahr hinweg durch unseren Alltagskrampf zu verschütten droht.
Gerade damit wir den Friede Gottes, zur Weihnacht in die Welt gekommen, auch in unseren Alltag hineinlassen und nicht unseren Sorgen das Feld überlassen.
Freut euch im Herrn allezeit! schreibt Paulus ja – nicht nur zur Weihnacht, allezeit. Und er gibt uns einen schlichten Hinweis, wie wir uns alltäglich darin üben, mit Gottes Nähe zu rechnen, seinen Frieden jeden Tag unseres Lebens zu erwarten: Sorget euch um nichts, sondern worum ihr zu bitten habt, das lasst in Gebet und Fürbitte mit Dank vor Gott kommen.
So einfach ist es: Der Herr ist nahe. Gerade mal ein Gebet weg. Jeden Tag. Wirklich jeden Tag. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten. Amen.