Offenbarung 3,1-6:
Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
diese Worte aus der Offenbarung – sie stimmen keine adventlichen Töne an. So mag es zumindest in unseren Ohren klingen, die an „Dschingle Bells“ und „Wir sagen euch an den lieben Advent“ gewöhnt sind.
Nein, es sind keine leicht verdaulichen Häppchen, die uns hier serviert werden. Und doch sind diese Worte am 3.Advent zu predigen.
Woran uns diese Worte erinnern ist der ursprüngliche Sinn und Zweck der Wochen vor Weihnachten. Advent – das ist im Kirchenkalender (noch) keine Festzeit. Es ist Bußzeit. Vergleichbar der Fastenzeit vor Ostern sollen wir uns im Advent auf das Weihnachtsfest vorbereiten.
Vorbereitung – die sieht bei uns in der Regel so aus: Christkindlmarkt, Weihnachtsshopping, Weihnachtsfeier. Das Jahr ausklingen lassen, in Stimmung kommen.
Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns sich gerade in dieser Zeit Sachen sagen lassen will wie „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.“ oder „Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb.“ Das sind echte Stimmungstöter. Warum also diese Konfrontation?
Hier muss man kurz ausholen, den Blick auf das gesamte Buch der Offenbarung werfen. Zu Recht heißt es das Buch mit den sieben Siegeln. Nicht nur, weil dieses Buch vielen so verschlossen vorkommt, sondern auch, weil die sieben Siegel dort eine zentrale Rolle spielen. Diese sieben Siegel gilt es zu öffnen, damit die Geschichte der Welt zu einem guten Ende geführt werden kann.
Und wer sich ein bisschen auskennt, der weiß: Die Öffnung dieser Siegel bringt zunächst kein Heil, sondern im Gegenteil all das Unheil mit sich, was die Menschheit von Anbeginn bis zu ihrem Ende erlebt: Hunger, Krankheiten, Kriege, Umweltkatastrophen. Es ist das Unheil der Welt, die sich selbst überlassen bleibt. Diese Welt muss sich endgültig austoben.
Doch das geballte Wüten dieser Welt ist so unerträglich, dass es niemand wagt, dieses Wüten zu entfesseln. Denn niemand hat die Vollmacht, dieses Wüten in seiner Gänze auszuhalten, zu ertragen, zu überwinden.
Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen.
So schreibt es der Seher Johannes – und bringt damit zum Ausdruck, was auch wir täglich zu empfinden hätten, wenn wir das geballte Wüten dieser Welt und die daraus folgende Not an uns wirklich heranlassen könnten: Etwa Armutsflüchtlinge, die im Mittelmeer verenden, oder Kindersoldaten, die Minen schützen und zugleich Vergewaltiger und Vergewaltigte sind, oder Familien, die in den verstrahlten Sperrgebieten Japans und der Ukraine leben.
All diese Menschen sind Stimmungstöter in unserer Adventszeit. Da kann es einem wahrhaft zum Heulen zumute werden, wenn man sich nicht innerlich abwendet.
Am besten, es gäbe eine Lösung für all dieses Elend. Ja, man müsste anpacken und losmachen.
Ich finde es nach wie vor bemerkenswert, dass die Wirtschafts- und Arbeitswelt, so wie wir sie heute kennen, wohl aus genau diesem Impuls entstanden ist. Zumindest beschreibt dies Professor Michael Hüther in seinem lesenswerten Artikel „Die sattelzeitgerechte Entstehung der Nationalökonomie“ so.
Im 18.Jahrhundert, der Geburtsstunde der Wirtschaftswissenschaften wie der Industriellen Revolution, wollten die Menschen das Übel in der Welt nicht mehr einfach hinnehmen.
Sie wollten sich von den Theologen und Pfaffen nicht länger vertrösten lassen, dass alles, auch das elendste Elend, aus der gütigen Perspektive Gottes doch irgendwo Sinn macht. So argumentierte die damalige Theologie.
Stattdessen machten die Menschen sich selbst daran, die Not der Welt zu bekämpfen, für bessere Lebensbedingungen zu arbeiten.Und sie entwickelten neue Methoden und Wissenschaften wie die Ökonomie, um den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl zu schaffen.
Sie wischten ihre Tränen im Angesicht menschlichen Elends und weltlicher Defizite einfach selbst ab und packten an. So erzählt es Herr Hüther. Und diese Geschichte ist sehr plausibel.
Denn bis heute sind sich in diesem Habitus alle einig, egal ob sie nun Wirtschaftsliberale oder Kommunisten, Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft mit klein- oder großgeschriebenem „S“ sind.
Immer geht es darum, die Welt zu einem besseren Lebensort zu machen. Der Streit dreht sich dabei „nur“ ums Wie.
Bemerkenswert einig sind sie sich aber auch in einer anderen unausgesprochenen Angelegenheit: Dass man mit dem, was diese Welt zu bieten hat, auch zurechtkommen muss.
In dieser geschlossenen Welt ist einer, der ganz von außen kommt, fehl am Platz. Das Kind in der Krippe, von dem die Engel zeugen: „Euch ist der Heiland geboren“ hat da keine Herberge, weil mit seiner Unterbringung niemand rechnet.
So eine geschlossene Welt spricht wohl auch Johannes an, wenn er an die Gemeinde in Sardes schreibt. Und erinnert sie daran, dass sie schon einmal offenherziger und empfänglicher war.
So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße!
So denke nun daran – die Botschaft von dem Kind, das kam, um bei den Menschen zu wohnen, dieser Gott mit ihnen, der abwischen wird alle Tränen von ihren Augen, so dass der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz.
So denke nun daran – die Botschaft von dem Kind, das uns in der Offenbarung des Johannes wiederbegegnet als Erster und Letzter und Lebendiger. Der tot war und lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit und die Schlüssel des Todes und der Hölle hat.
Mit dieser Schlüsselgewalt ist er nun der einzige Mensch weit und breit, der die sieben Siegel öffnen kann und das Wüten der Welt hinter diesen Siegeln aushält, erträgt und überwindet.
Das ist keine Botschaft für Pressemitteilungen, sondern für unser Herz. Deswegen heißt es auch nicht „So denke nun daran, was…“, sondern, “So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast.“
Denke an die Umstände, in denen du’s empfangen hast, die Umstände deines Unheils, deiner Ohnmacht, deiner Angst, deiner Trauer, deiner Bloßheit.
Und denke daran, wie dir im Angesicht des Kindes in der Krippe das Herz aufging, wie du dich getröstet wusstest, wie deine Angst wich und du dich deiner Bloßheit und Ohnmacht nicht mehr schämtest.
Wie dein Herz spürte: Hier ist mein Leben und mein Heil. Und hier kann ich‘s aushalten, und wenn die Welt voller Stimmungstöter wär‘.
Sich dessen zu erinnern, das ist die Buße, zu der diese Worte aus der Offenbarung anleiten wollen.
Eine Umkehr, die unsere Füße Richtung Krippe stellen mögen, die unseren Blick auf den Stern von Bethlehem richten mögen, der diese Welt in ihrer Nacht erhellt.
Mögen wir uns auf den Weg machen, um dort beim Kind in der Krippe anzukommen.
Amen.
(gepredigt im Haus der Bayerischen Wirtschaft anlässlich der Mitarbeiter-Weihnachtsfeier)