Zur Logik des Verlierens

Matthäus 16,24-28:

Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?

Denn es wird geschehen, dass der Menschensohn kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun. Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich.

Liebe AEU-Gemeinde,

kürzlich saß ich mit einem befreundeten Unternehmer zusammen. Er ist seit Jahren im IT-Bereich tätig, mit verschiedenen Unternehmungen, erfolgreichen und weniger erfolgreichen.

Dabei geht es immer wieder um die gleichen Themen: Mehrwert schaffen durch Dienstleistungen, die Informationen bündeln und ansprechend aufbereiten.

Da wundert es nicht, dass meinen Freund auch die Frage interessiert, wie wir Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten. „Weißt du“, sagt er zu mir, „wir reizen die Möglichkeiten unseres Gehirn kaum aus, vielleicht zu zehn Prozent.“ Und dann beginnt er zu fantasieren, was alles möglich wäre, wenn wir diese Grenzen weiter verschieben.

Unternehmer sein – das heißt oft, Grenzen austesten und überwinden. Ich frage mich bloß immer wieder: Was nützt hier und was schadet? Oder – um unser Jahresthema aufzunehmen – was dient hier zum Gewinn? Und welcher Verlust ist dabei einzupreisen?

Wo ich hinschaue, stellt sich diese Frage:

Bei den Klimaverhandlungen in Warschau, wo die Klimaverlierer den Globalisierungsgewinnern gegenüber sitzen.

Bei den Koalitionsverhandlungen, in denen darum gestritten wird, wie die begrenzten Mittel am gewinnbringendsten investiert werden.

In den Kindergärten und Schulen, die mit der Aufgabe betraut sind, unsere Kinder mit dem größten Gewinn auf ihren Lebens- und Berufsweg vorzubereiten – aber in welchen Strukturen, mit welcher Pädagogik, mit welchen Inhalten?

Immer steht dahinter die Frage, wie man für  sich das Beste herausholt, optimiert, dabei den größten Gewinn hat und sein Leben erhält.

Aber ich frage mich: Wo wendet sich dieses Optimieren gegen sich selbst? Denn ich beobachte, wie Menschen dabei auf der Strecke bleiben und Schaden nehmen.

Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren.

Dass es hier nicht um Einzelfälle geht, zeigt die gesellschaftliche Burn-Out-Debatte. Es zeigen Statistiken zum zunehmenden Missbrauch von Medikamenten für die Sicherstellung der eigenen Arbeitsfähigkeit. Und es zeigt der wachsende Handlungsbedarf in den Unternehmen.

So arbeitet die BMW Group gerade an einer Betriebsvereinbarung zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, in der auch Grenzen der Tele- und mobilen Arbeit definiert werden.

Und doch lässt sich der alltägliche Druck in den Unternehmen nicht einfach wegdiskutieren – und vielleicht auch nur begrenzt wegorganisieren.

Denn es scheint hier um viel Grundsätzlicheres zu gehen.

„Das Bessere ist der Feind des Guten.“ Dieser Satz, gerne zitiert von einem bekannten deutschen Manager, beschreibt die Logik, in der wir in weiten Teilen der Gesellschaft inzwischen operieren, gerade auch in den Unternehmen.

Es beschreibt den Grund für das Getriebensein in der Endlosschleife beständigen Optimierungsbestrebens.

Aber wohin führt diese Schleife am Ende des Tages, am Jüngsten Tage, dann, wenn es um unser Seelenheil geht?

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Was hülfe es dem Menschen, wenn er, um meinen Freund zu zitieren, eines Tages 30, 50, 70 Prozent seines Gehirns aktivieren kann, er dabei jedoch Schaden an seiner Seele nimmt?

Jesus fragt nicht nur, er widerspricht dieser menschlichen Optimierungslogik.

Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Es irritiert, dass nicht das Gewinnen zum Gewinn führen soll, sondern das Verlieren. Absurd mag das in den Ohren der Optimierer klingen. Und doch biblisch bezeugt.

In der Bibel gibt es keine eindimensionalen Gewinnertypen, keine ungebrochen optimal wachsenden Biografien. Ob Abraham, David oder Petrus – sie alle sind gewinnende Menschen, die aber auch gnadenlos scheitern.

Sie alle haben mit Ängsten, mit Verlusten zu kämpfen; und finden gerade in ihren größten Nöten ihr Leben, ihren Lebensweg neu – durch den Gott, der Leben schenkt.

Sie verweisen dabei auf eine andere Logik als die des Gewinnens. Nicht, dass das Gewinnen an sich das Problem wäre.

Aber wer glaubt, gewinnen zu müssen, um sein Leben zu erhalten, der wird’s verlieren. Und dann, wenn er’s denn verloren hat, kann er es finden – sofern er sich von dem finden lässt, in dessen Hand sein Leben schon immer liegt.

Am radikalsten lässt sich diese Logik in der Biografie Christi nachvollziehen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ ruft er, der mehr als den biologischen Tod stirbt, nämlich den Tod Gottes – um danach, als Auferweckter leibhaftig von dem zu zeugen, der Leben aus dem Nichts schafft.

Wenn wir also gerufen sind, diesem Jesus nachzufolgen, dann sind wir gerufen, in diese Logik einzutauchen, in der Verlieren kein Verlust ist, da Gott das Verlorene sucht (Lk 15,4ff.) – eine Logik, in der sogar das Sterben ein Gewinn sein kann, weil selbst der Tod seinen Schrecken verliert  (Phil 1,21).

In dieser Logik, da bin ich gewiss, werden sich auch Wege auftun, zu gewinnen, ohne dabei auf der Strecke zu bleiben oder andere auf der Strecke zu lassen

Ich hoffe und wünsche mir, dass wir diese Wege im AEU miteinander erforschen – um unseres Seelenheil willen und des Seelenheiles derer, die uns anvertraut sind.

Amen.

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