Joh 8,3-11:
Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Liebe AEU-Mitglieder,
liebe Gäste,
„What would Jesus do?“ Das war eine beliebte Übung, die ich mit meinen Konfirmanden einmal im Kurs gemacht habe. Eine Woche lang jeden Tag ein besonderes, bewegendes Ereignis, eine schwierige, herausfordernde Situation notieren und im Nachgang überlegen: „What would Jesus do?“ – „Was würde Jesus tun?“. Interessanterweise kommt diese Frage gar nicht aus der Jugendarbeit, auch wenn sie dort gut hundert Jahre später wieder entdeckt wurde.
Ursprünglich entstammt der Slogan dem Roman „In His Steps“ von Charles Sheldon, einem amerikanischen Pastor, der in seiner Heimat einer der Wortführer der Social Gospel-Bewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war.
In seinem Roman erzählt Sheldon, wie ein Arbeitsloser beim Pastor einer Kleinstadt klingelt. Nur kurz hört ihm der Pfarrer zu und schickt ihn dann weiter. Er feilt nämlich gerade an seiner Predigt. Am kommenden Sonntag erscheint der Arbeitslose in der Kirche. Er tritt nach der Predigt vor die Gemeinde und erzählt seine Leidensgeschichte, die er mit den Worten einleitet: „Ich beschwere mich nicht, sondern erzähle schlicht die Fakten.“ Dabei führt er der Gemeinde vor Augen, wie sie seine und die Not anderer Arbeitsloser schlicht ignoriert. Am Ende seiner Ansprache bricht der Mann zusammen. Einige Tage später ist er tot.
Der Pastor zieht am Sonntag nach diesen Ereignissen in seiner Predigt die Konsequenzen: „Unternehmt nichts, bevor ihr euch nicht gefragt habt: Was würde Jesus tun?“ Das schreibt er seiner Gemeinde ins Stammbuch.
„Was würde Jesus tun?“ Der Roman setzt dann fort, indem er einige Charakter in ihrem Alltag begleitet, die sich diese Frage tatsächlich aktiv stellen und damit ihre Erfahrungen sammeln – unter anderem auch Geschäftsleute.
„Was würde Jesus tun?“ Mit dieser Frage tauchen die Schriftgelehrten und Pharisäer bei Jesus auf – aber nicht, um sich Rat und Einsicht zu holen. Denn wissen tun sie ja, was richtig ist. Das Urteil über die Ehebrecherin ist gefällt. Auf Ehebruch steht der Tod. So lehrt es das Gesetz. Und an das hat man sich zu halten.
Bei der Gesetzesbeachtung kann es aber nicht so ganz mit rechten Dingen zugehen. Denn der Mann, mit dem die Frau Ehebruch begangen hat, taucht gar nicht auf. Auch er müsste ja mit derselben Strafe belegt werden.
Möglich also, dass da galt: „Unter dem Gesetz sind alle gleich – und einige noch gleicher.“
Die Frage nach Gleichheit und Gerechtigkeit – das ist die Debattenlage in unserem Land vor den Wahlen. Der Fall Uli Hoeneß, an den ich bei diesem Evangeliumstext denken musste, ist in den letzten Wochen einer der wesentlichen Aufhänger für diese Debatte gewesen. Es lohnt sich, diesem Fall anhand der biblischen Geschichte einmal nachzugehen.
Da bricht einer das Gesetz – und er verpasst möglicherweise die Chance, sein Vergehen im Nachgang zu heilen. Und dann sind sie natürlich da, die Schriftgelehrten und Pharisäer. Die gerechte Strafe möge ihn ereilen. So bloßgestellt wie die Ehebrecherin wurde auch Hoeneß in aller Öffentlichkeit.
Manche fanden das gerecht. Wäre Hoeneß selbst nicht vor einem Jahr einer der ersten gewesen, der das Hohe Lied der Steuerehrlichkeit gesungen hätte? Wäre er nicht analog der biblischen Geschichte bei denen gewesen, die mit den Steinen in der Hand anmarschieren, um alle Steuersünder verbal zu steinigen?
Andere fanden es ungerecht, dass ein Mann wie Hoeneß, der sich so verdient gemacht hatte um so viele Menschen, so vorgeführt wurde. Bei nicht wenigen klang das so, dass eben alle gleich sind vor dem Gesetz – und einige, die moralischen Instanzen eben, einfach gleicher.
Die dritten wiederum argumentierten folgendermaßen: „Wer hat den Staat denn nicht selbst schon einmal betrogen…“ Ist das nicht im Sinne Jesu? Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Wer von uns würde da nicht – gleich der Meute in der Geschichte – den Tatort schleunigst wieder verlassen?
Ist damit aber die Moral von der Geschicht’ die, dass Gesetze gar nicht mehr greifen können, weil es niemanden unter uns gibt, der die notwendige moralische Integrität besitzt, um sie in Kraft zu setzen?
Nun, zumindest relativiert es die Rede von der moralischen Instanz. Es stellt sie in Relation zu dem, was wirklich von uns Menschen gefordert wäre, wenn wir gerechte Richter sein wollten. Es stellt sie in Relation zu dem einzig gerechten Richter, dem einzigen ohne Sünde, Gott selbst.
„What would Jesus do?“ Diese Frage greift hier nicht. Dass Jesus die tödlichen Folgen des Gesetzes außer Kraft setzen kann, dass er der Sünderin einen Neuanfang beschert, das kann er nur aus der Position der einzigen moralischen Instanz, aus der Position Gottes.
Wir können das nicht, jedenfalls nicht in unserem Namen. Denn der ist befleckt, moralisch unrein. Vergebung kann nur im Namen Gottes zugesprochen werden.
Aber was passiert durch die Vergebung? Ist damit das Gesetz außer Kraft gesetzt? Nein, es gilt weiterhin. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr. So sagt es Jesus ja der Ehebrecherin. Er setzt das Gesetz in seine wahre Kraft, als Orientierung im Leben, nicht als tötende Macht. Es entspricht seiner Mission auf Erden: Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder und nicht die Gerechten. (Lk 5,32)
Eine moralische Instanz sein zu wollen, ist also gar nicht zielführend. Vielmehr behindert es uns nur, ins Leben zu finden. Als moralische Instanz hängen wir uns bei der tötenden Macht des Gesetzes auf – und hängen damit andere. Und wir müssen als moralische Instanz unsere eigenen Sünden im Verborgenen halten – um den Schein zu wahren.
In der Nachfolge Jesu hingegen wissen wir: Da kann man keine moralische Instanz sein. Da braucht man es auch nicht zu sein. Was wir brauchen, ist die Bereitschaft zum Neuanfang, wie ihn Jesus der Ehebrecherin ermöglicht – dann, wenn wir uns verrannt haben. Was wir brauchen, ist die Bereitschaft, uns von Jesus ins Leben führen zu lassen.
Das ist befreiend, aber zugleich schmerzhaft. Denn dabei gilt es auch zweifelsohne, Offenbarungseide zu leisten. Das eigene moralische Selbstbild muss vom Sockel, damit wir als Menschen unter Menschen und vor Gott leben lernen.
Vor Gott – das heißt: Sein Gesetz gilt. Es richtet weiterhin – aber im Richten tötet es nicht mehr. Es richtet uns neu aus. Und als Immer wieder Neu Ausgerichtete dürfte uns auch die Frage immer wichtiger werden: „What would Jesus do?“ Amen.