Was bringt uns in digitalen Zeiten zusammen?

Wie dankbar bin ich etwa, dass ich mit Freunden in den USA über Facetime und Telegram im schnellen Austausch stehen kann. 

Wie mühselig war das noch in den achtziger Jahren, als ich als Austauschschüler in New Jersey Briefe an meine Freunde zuhause schrieb und die Antwort erst einen Monat später erhielt.

Wie schön es auch sein kann, mit meinen Kindern Spiele auf der Konsole zu spielen – was genauso gemeinschaftsstiftend ist wie ich es von Tabu, Outburst oder anderen Brettspielen kenne.

Und wie einfach es inzwischen geworden ist, mit Kolleginnen und Kollegen an ganz unterschiedlichen Orten zusammenzuarbeiten dank digitaler Tools. Das Buch, das ich eben verschenkt habe, haben wir mit 23 Menschen an 23 unterschiedlichen Orten Deutschlands gemacht – und uns dazu als Redaktion lediglich zweimal physisch getroffen.

Und doch ist es eben nicht selbstverständlich, dass digitale Tools zur Gemeinschaft beitragen. 

Ich habe dieses Jahr selbst in meinem Freundeskreis erlebt, wie Cybermobbing einen Jungen völlig aus der Bahn geworfen hat. 

Ich frage mich auch, was es mit Freundschaften und Beziehungen macht, wenn Menschen 1000 Facebook-Freunde haben und nach immer mehr Followern auf Twitter oder Instagram streben.

Und ich nehme natürlich wahr, wie schwer es für viele Menschen geworden ist, glaubwürdige Informationen von gezielten Lügengeschichten zu unterscheiden, allein schon deswegen, weil sie im Netz über gleichermaßen glaubwürdig aussehende mediale Oberflächen transportiert werden. 

Kein Wunder, dass viele Eltern sich sorgen, mit welchen Informationen, ja, Bildern von der Welt ihre Kinder in den sozialen Medien gefüttert werden.

Auch hier, denke ich jedoch, bleibt uns nur der Austausch, der Dialog, um uns gegenseitig in Gemeinschaft zu holen und zu halten. Was mir dabei als Christ Mut macht, ist das, was auch in unserem Wochenspruch anklingt.

Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Natürlich erinnert der 1.Johannesbrief hier an das Doppelgebot der Liebe. Für sich stehend klingt es erst einmal als ein Appell. Doch dieser Appell ist eingebettet in einen größeren Kontext, der auch schon im Brief ein paar Zeilen vorher durchklingt: 

Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.Gott ist Liebe. Das dürfen wir erst einmal nur feststellen. Und dann den größeren Kontext betrachten, der uns bis in die Schöpfungsgeschichte führt. 

Dort wird uns erzählt, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, als Mann und Frau, als Zwei, als Beziehung. Der Mensch ist als Beziehungs-wesen geschaffen, weil Gott Beziehung ist. 

Er und sie stehen daher von Anbeginn in dieser doppelten Beziehung, im doppelten Gegenüber, wie es das Liebesgebot beschreibt: zu Gott und zum Mitmenschen. Und die Frage, die sich dem Menschen daher immer wieder stellt, ist, wie diese Beziehungen gelingen.

Wie gelingt Gemeinschaft, wie gelingt Austausch, wie gelingt ein Dialog? 

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem wunderbaren Büchlein „Gemeinsam leben“ dazu einen Hinweis gegeben, der meines Erachtens dem entspricht, wie der 1.Johannesbrief des Doppelgebot der Liebe beschreibt. So schreibt er:

„Geistliche Liebe…kommt von Jesus Christus her…, sie weiß, dass sie keinen unmittelbaren Zugang zum andern Menschen hat. Christus steht zwischen mir und dem Andern.“ (30)

Wir haben keinen unmittelbaren Zugang zueinander – auch nicht zu unseren Liebsten, auch nicht zu unseren Kindern. Wenn wir den unmittelbaren Zugang suchen und versuchen, dann laufen wir immer Gefahr, den oder die andere für unsere Bedürfnisse und Interessen einzuspannen, weil wir nicht imstande sind, uns freizumachen von uns selbst und dem, was wir wollen und brauchen. Daher bekommen wir den Bruder, die Schwester nicht ganz in den Blick, so wie Christus dies tut.

Nur durch Christi Augen, nur mit Christus als Mittler ist dies möglich. Nur dann gelingt menschliche Gemeinschaft, menschlicher Dialog. Das ist Bonhoeffers These.

Diese These scheint sich im digitalen Raum vielfach zu bestätigen, da, wo Menschen offensichtlich manipuliert und missbraucht werden. 

Diese Manipulation und dieser Missbrauch ist aber keineswegs das Privileg des Digitalen. Es ist und bleibt allzu menschlich und findet sich daher zur Genüge auch im Analogen.

Vielleicht ist es nur so, dass uns die neuen, mächtigen digitalen Tools auf etwas in und an uns aufmerksam machen, was schon immer menschliche Gemeinschaft bedroht hat. Und uns daran erinnern, wo wir die Quelle menschlicher Gemeinschaft zu finden imstande sind. 

So wie es im 1.Johannesbrief im selben Kapitel unseres Wochenspruchs nachzulesen ist:

Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

(Andacht zu 1.Johannes 4,21 gehalten bei der regionalen Arbeitsgruppe des AEU München/Bayern in der Lukasschule München am 21.10.2019)

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