Gott hört

Geliebte AEU-Gemeinde,

wundersame Geburten – das ist ein wiederkehrendes Thema in den Geschichten des Alten und des Neuen Testamentes. Angefangen bei Sara, der Frau Abrahams, die nur lachen kann, als ihr in hohem Alter ein Sohn verheißen wird – über Rahel, die so viele Jahre unfruchtbar an der Seite ihrer Schwester Lea darbte, bis auch sie an der Seite Jakobs zwei Stammhalter Israels zur Welt bringen kann – bis hin zu Maria, der jungen Frau, die ohne kenntliches Zutun ihres Verlobten einen Sohn zur Welt bringt. Das Wunder dieser Geburt werden wir bald wieder feiern.

In diese Reihe wundersamer Geburten ordnet sich auch die Hanna ein, deren Lobgesang wir soeben zu hören bekamen. Auch sie litt wie Rahel an der Seite Leas über ihre Unfruchtbarkeit, während eine andre Frau ihres Mannes Elkana, Pennina, ein Kind ums andere gebar.

Auch Elkanas Liebe konnte sie nicht trösten, denn sie spürte die Verachtung, die ihr entgegenschlug. Eine Frau, die keine Kinder zur Welt brachte, galt im alten Israel nichts. In den Augen ihrer Volksgenossen hatte sie den Sinn und Zweck ihrer Existenz verwirkt.

Wie schwer dieses harte Urteil ihrer Umgebung auf ihr lag, wird deutlich, als sie dem Priester Eli offenbart, dass sie ein ums andere Mal ihr Herz vor Gott ausschüttet, ein Gott wohlgemerkt, der über Jahre, Jahrzehnte schweigt. Nichts passiert.

Was für ein Gott ist das? Was für ein Gott ist das, dass Hanna ihm weiterhin in den Ohren liegt, trotz Funkstille, keiner ersichtlichen Reaktion?

Hannas Lobgesang, den wir eben hörten, ist nicht vollständig, wenn wir ihre Geschichte nicht kennen. So wie das Lob der Psalmen nicht vollständig ist, wenn wir die Klagen in den Psalmen nicht vernehmen. Und Hannas Lobgesang ist auch nicht vollständig verstanden, wenn man die harschen Sätze ausspart, mit denen sie all denen trotzt, die sie durch ihr Urteilen und Abwenden bis ins tiefste Mark getroffen haben: „Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde…Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde…“ Im Lobgesang ist eine gehörige Portion Galle. Ein Mensch lobt Gott, kein Engel, ein Mensch mit tiefsten Verletzungen und auch einer Portion Zorn.

In einem Zeitalter des Zornes, in dem ein angry white man an die Spitze der USA gewählt wurde, an dem Paris brennt und der Arc de Triomphe „besudelt“ wird, an dem Wutbürger durch Deutschlands Straßen ziehen und Parolen wie „Lügenpresse“ und „Merkel muss weg“ skandieren, könnte es notwendig sein, dies im Blick zu haben – gerade im kommenden Jahr, wenn wir uns über die Frage „Gemeinschaft 4.0 – was führt uns heute zusammen?“ Gedanken machen.

Es könnte wichtig sein, in dem lauten Zorn das leise Schluchzen verachteter Herzen und gekränkter Seelen zu vernehmen; es könnte wichtig sein, die Randständigen wie Hanna zu beachten und zu hören, die, die nach den unausgesprochenen Maßstäben der Massengesellschaft nicht mehr dazugehören, bevor sie in ihrem Zorn von wirklich destruktiven Kräften instrumentalisiert werden.

Noch mehr sogar, was uns jenseits der politischen Vernunft führt: es könnte für uns wichtig sein, genau da hin zu hören, um besser verstehen, welcher Gott es ist, dem Hanna da so beharrlich in den Ohren liegt.

Ein Gott, der, so drückt es Hanna aus, „arm macht und reich macht, tötet und lebendig macht, erniedrigt und erhöht, den Dürftigen aus dem Staub hebt und den Armen aus der Asche erhöht.“

Ein Gott, der dabei nicht willkürlich vorgeht, sondern weil er eben doch hört, wie Hanna es erfahren hat: „Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der HERR ist ein Gott, der es merkt…“

Ein Gott, der es merkt, trotz Schweigens über Jahre. Ein Gott, der eben doch hört und erhört. So nannte Hanna ihren Sohn: „Samuel“ – „Gott hört“

Geliebte Gemeinde,

„Gott hört“ – das dürfen wir mitnehmen in diese Adventszeit, in der wir den erwarten, der der größte Zeuge dessen ist, dass Gott hört, „ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt“ – Heil und Leben in eine Welt, die bis ins Mark erschüttert ist von unzähligen Nöten und unermesslichem Leid, von selbstzerstörerischer Ignoranz und unhaltbarem Machtmissbrauch. Tun wir es in dieser Welt Hanna gleich: Schütten wir unsere Herzen aus vor unserem HERRN, von mir aus mit all der Galle, die dabei hochkommen mag, und sollten wir merken, dass Gott es merkt, sollten wir erfahren, dass Gott uns hört, dann lasst uns wie Hanna mit Gotteslob nicht sparen.

Amen.

(gepredigt bei der AEU Mitgliederversammlung zu 1.Sam 2,1-8)

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