Geliebte vbw-Gemeinde,
Hand aufs Herz – wer von Ihnen ist in dieser Woche schon irgendwohin gehetzt? Wem hat sich in dieser Woche der Magen zusammengezogen im Angesicht irgendeiner Frist, die es vor Weihnachten noch einzuhalten gilt? Und wem ist in dieser Woche schon einmal die Hutschnur hochgegangen, weil irgendwas oder irgendwer nicht so funktioniert hat, wie es doch nötig gewesen wäre?
Alle Jahre wieder liegen die Nerven vieler Menschen vor Weihnachten blank. Alle Jahre wieder ballen sich die Termine in der Adventszeit. Alle Jahre wieder die gleichen Sprüche, die man sich zuraunt, mit ironischem bis zynischem Zungenschlag: „Alle tun so, als ob die Welt an Silvester untergeht.“ Oder „Was für eine Überraschung – auch dieses Jahr fällt Weihnachten auf den 24.Dezember.“
Es ist schon eine besondere Zeit, diese Vorweihnachtszeit – vielleicht gar nicht mal unbedingt, weil es stressiger oder dichter wäre als zu anderen Hochphasen im Jahr. Vielleicht eher, weil wir uns in dieser Zeit, ganz speziell in dieser Zeit etwas anderes wünschen würden. Und diese Wünsche ja auch befeuert werden, ob durch sentimentale Filme, herzerwärmende Weihnachtslieder oder Weihnachtskarten, die uns erholsame und friedliche Weihnachten wünschen.
An diesem Kontrast verzweifeln so manche, an dieser Spannung des „man müsste doch eigentlich, es müsste doch eigentlich anders sein, aber es ist halt, wie es ist.“
Dabei ist es gerade diese Spannung, die zur Weihnachtsbotschaft ganz wesentlich dazu gehört, und die gerade im Advent, in der Vorweihnachtszeit sich zuspitzt. Denn im Advent tauchen wir ein in die Erwartung – in die Erwartung sowohl des Volkes Israel, das seit Jahrhunderten auf einen Heiland wartete, als auch in die Erwartung, die uns als Kirche prägt, als die, die durch den in der Heiligen Nacht zur Welt gekommenen Heiland nun selbst hineingenommen worden sind in diese Geschichte der Erwartung.
Wie sich diese Geschichte der Erwartung entfaltet hat und wie sie eine Gemeinschaft der Erwartenden formt und bildet, beschreibt der Apostel Paulus nicht nur in den Zeilen, die wir gehört haben.
Es ist sogar das Thema des gesamten Römerbriefes, dem diese Zeilen entnommen sind.
Erwartungsschwanger sind die, die zur dieser Gemeinschaft gehören, erwartungsschwanger angesichts der Verheißungen, die gerade zur Weihnachtszeit erneut und wiederholt zur Sprache kommen: Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen. Ewig-Vater, Friede-Fürst … ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Segen mit sich bringt.
Verheißungen, bezogen auf diesen einen, auf dieses Kind in der Krippe. Alle Jahre wieder intonieren wir sie, hören wir sie, lassen wir sie uns gefallen, werden erwartungsschwanger und merken dabei: ein bisschen schwanger, das geht nicht.
Denn wo diese Verheißungen Hoffnung, Trost und Geduld wecken, so wie es der Apostel beschreibt, wo sie gar zum Lobe Gottes führen, zu dem der Apostel auffordert, da kommt zugleich auch die Not so recht in den Blick.
Wenn es im Propheten Jesaja – auch eine zu Weihnachten verlesene Botschaft – heißt: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. – und wir bei diesen Worten zu Recht an den Weihnachtsstern in der dunklen Nacht denken, dann kommt hier eine Logik zum Tragen, wie sie etwa der evangelische Lieddichter Jochen Klepper so zur Sprache brachte:
„Die Nacht ist vorgedrungen. Der Tag ist nicht mehr fern. So sein nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
…bescheinet auch deine Angst und Pein.
Wenn der Engel in der Weihnachtsgeschichte: „Fürchtet euch nicht!“ ruft, dann wird doch als allererstes die Furcht der Angesprochenen benannt – und, das sei am Rande bemerkt, die Sorge, die in unserer Zeit gerade wieder groß Karriere gemacht hat unter so genannten besorgten Bürgern und doch nichts anderes ist als die kleine Schwester der Furcht. „Fürchtet euch nicht und seid auch nicht besorgt!“
Wäre das auch eine Botschaft an die bayerische Wirtschaft? Zumindest nehme ich wahr: den Unternehmen in Bayern kann es denkbar gut gehen – es besteht immer ein gerüttelt Maß an Zukunftsangst und Zukunftssorge, dem man nicht zu entkommen scheint – wohl besser: aus dem die Wettbewerber einen nicht entkommen lassen oder gewaltige Umwälzungen mit ergebnisoffenem Ausgang wie das, was heute unter der Überschrift „Digitalisierung“ verhandelt wird. „Fürchtet euch nicht und seid auch nicht besorgt!“ Was, wenn diese Botschaft in der bayerischen Wirtschaft Gehör fände? Was würde da passieren?
Und wenn Paulus im selben Brief folgende Worte an die Gemeinde in Rom schreibt: Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht in Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Das sehnliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden soll…. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt. dann kommt da noch eine andere Dimension dieser Erwartungsschwangerschaft in den Blick.
Die Verheißungen lassen einen nicht einfach bei der eigenen Angst und Pein stehen bleiben. Sie sind ja Verheißungen nicht nur an mich und an dich, sondern an die ganze Schöpfung, die ganze Kreatur. Und so kommt auch die Angst und Pein in den Blick, die andere um uns erleiden. Mit gutem Grund haben Spendenaktionen zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur. Denn sie bieten einen Weg an, der fremden Angst und Pein, die man in den Blick bekommt, ansatzweise zu begegnen.
Und doch wird es dabei bleiben: mit der ganzen Kreatur werden wir weiterhin erwartungsschwanger darauf sehnlich harren, dass sich die Verheißungen der Weihnachtsbotschaft erfüllen. Und dabei hoffentlich schon jetzt Gott gemeinsam loben und danken für das, was kommen wird – so wie es der Apostel Paulus der Gemeinde in Rom ans Herz legt – und damit einen Vorgeschmack dessen bekommen, was uns noch erwartet.
Geliebte Gemeinde,
in der Spannung, die ihr zur Weihnachtszeit verspürt, seid ihr also mittendrin in der Weihnachtsgeschichte. Mittendrin in dem, was dieser Erlöser auslöst in dieser Welt, in uns und in unserer Gemeinschaft der Erwartungsschwangeren.
Diese Spannung ist gut, weckt sie uns doch auf und setzt sie uns in Bewegung. Dass diese Bewegung hin zum Kind in der Krippe führen möge, das nun ist mein Adventswunsch an Sie. Oder in den Worten des Apostels Paulus: Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben.
Amen.
(Predigt über Römer 15,4-13 im Haus der Bayerischen Wirtschaft am 15.12.2017)