Geliebte Schwestern und Brüder,
„Glaube, Freiheit, Verantwortung – Umbruch und Perspektiven“ – unter diesem Motto saßen wir gestern und heute beieinander. Fünf große Worte, fünf Worte, aus denen man ganze Bibliotheken zusammenstellen könnte. Was wurde nicht schon zu diesen Worten gedacht, geschrieben, gepredigt? Ganze Welten sind das, die sich hier auftun. Und dann kamen gestern gleich noch mehr große Worte dazu: Frieden, Sicherheit, Wohlstand, Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Demographie. So viele große Worte. Und jedes dieser Worte beschreibt Aufgabenbündel, die von ganzen Heerscharen bearbeitet werden oder zu bearbeiten wären. Heerscharen, die dem AEU nicht zur Verfügung stehen. Und doch sind sie da, diese großen, Ehrfurcht gebietenden Worte.
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ Dieses Wort nun haben wir gestern auch vernommen, ein Wort, das Martin Luther in der von uns gelesenen Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zitiert. Ich erinnere mich, dass es um dieses Wort eine etwas ausführlichere Diskussion gab. Denn Luthers Deutung erschien in seiner Rigorosität zu scharf, zu pointiert, zu over the top. „So müssen wir nun gewiß sein, dass die Seele kann alle Dinge entbehren außer dem Wort Gottes.“ So schreibt er’s einfach mal, dieser Luther.
Blickt man in den Kontext dieses Wortes, welcher das Evangelium des vergangenen Sonntags und damit der heute zu Ende gehenden Woche ist, so wird vielleicht deutlicher, dass diese Rigorosität der Worte Luthers durchaus nachvollziehbar ist. Denn der Kontext beschreibt eine Entscheidungssituation in einer bestimmten Geschichte. Jesus wird zu einer Entscheidung provoziert. Macht er’s oder lässt er’s.
„Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“
Nach vierzig Tagen und vierzig Nächten Dauerfasten ein durchaus verlockender Vorschlag. Zwei Fliegen könnte man da mit einer Klappe schlagen. Satt werden und sich zugleich als Sohn Gottes erweisen. Allein, er tut’s nicht. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“
Warum eigentlich? fragt man sich da. Und wird vielleicht etwas schlauer, wenn man noch einen kleinen Schritt weiter geht. Denn auch Jesus zitiert hier, und zwar aus dem 5.Buch Mose.
Und da lautet der Kontext wie folgt: „Und gedenke des ganzen Weges, den dich der HERR, dein Gott geleitet hat diese vierzig Jahre in der Wüste, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit kundwürde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.
Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf das er dir kundtäte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht.“
An eine Übung wird hier erinnert. Gott übt mit Israel gewiss sein. Bleiben sie gewiss im Glauben, dass Gottes Wort zum Ziel kommt mit ihnen – oder nicht? Immerhin sind sie aus Ägypten ausgezogen, weil Gott ihnen kundtat, dass er sie ins Gelobte Land führen würde. Können sie dieser Zusage noch glauben nach dem Umbruch des Aufbruchs und in der Perspektivlosigkeit der Wüste?
Und ist Jesus gewiss im Glauben, dass in der Wüste gilt, was ihm vierzig Tage und vierzig Nächte vorher vom Himmel als Gottes Wort zugesprochen ward? „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Gilt Gottes Wohlgefallen auch jetzt?
„So müssen wir nun gewiß sein, dass die Seele kann alle Dinge entbehren außer dem Wort Gottes.“ Die Geschichten der Heiligen Schrift erinnern uns daran, dass diese Gewissheit durchaus der Einübung bedarf. Wohlgemerkt, für diese Einübung brauchen wir selbst nicht zu sorgen. Es war Gottes Geist, der Jesus in die Wüste führte. Es war Gott selbst, der das Volk in der Wüste hungern ließ.
Luther sprach, was das anging, von Anfechtung. Ich vermute, Sie haben eine Vorstellung davon, was dies heißt. Und ich hoffe, dazu zählt, das eigene Angefochtensein als Einübung in die Gewissheit zu begreifen, in der allein unsere Seele wahrhaft zuhause bei Gott ist.
In der Anfechtung wird uns vor Augen geführt, wie verloren unsere Seele wäre, müssten wir uns leibhaftig auf uns verlassen in der Wüstenei unserer Existenz. Das brauchen wir nicht. Denn Gott hat uns immer schon sein Wort mitgegeben – und dieses Wort erfüllt sich. Das Volk wird gespeist und erreicht das Gelobte Land. Zu Jesus treten Engel und dienen ihm. Gut ist es also, wenn wir in der Anfechtung des Wortes Gottes eingedenk bleiben.
Und gut ist es, wenn wir auf diese Weise über unsere Anfechtung auskunftsfähig werden. Wie attraktiv das ist, wenn Christen in der Wirtschaft über ihre Anfechtung auskunftsfähig sind, das haben wir vorhin gehört. Man kann sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Gott durch unsere Anfechtungen seine Kirche erbaut. Ich denke, Martin Luther würde hier nicht widersprechen.
Gott erbaut so seine Kirche, damit wir uns nicht verlieren in den großen Worten unserer Weltzeit. Sie mögen Umbrüche und Perspektiven, Ergebnisse beschreiben.
Sie mögen Herausforderung sein. Sie können zur Anfechtung werden. Sie können aber allesamt nicht das, was das Wort Gottes kann. Gottes Wort allein erfüllt sich gewiss. Es bereitet eine neue Welt und gibt ihr die rechte Ordnung, in der wir Menschen miteinander gut leben können – vom Anfang aller Zeiten bis jenseits des Todes, über den hinaus wir nicht sehen, sondern nur glauben können.
Gottes Wort, so könnte man es auch sagen, ist das innovative Wort schlechthin. Mögen wir uns dessen gewiss sein – zu allen Zeit und an allen Orten, wohin wir von hier auch gehen. Amen.
(Abschlussandacht auf der AEU Rüstzeit 2016)