Es wird regiert

Psalm 24:

Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.

Wer darf auf des HERRN Berg gehen,und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört: der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles. Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre.

Liebe AEU-Mitglieder, liebe Gäste,

Am späten Abend vor der Nacht, in der er friedlich im Schlaf verstarb, arbeitete er noch an seinem Schreibtisch. Da erhielt er einen Telefonanruf von einem alten Freund.

Sie unterhielten sich über die Weltlage mit ihren beängstigenden Gefahren und Nöten. Er schloss endlich die Unterhaltung ab und munterte den besorgten Freund auf: „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Denn – es wird regiert!“

„Es wird regiert.“ – so überliefert es sein Freund und Schüler Eberhard Busch – waren die letzten Worte des großen Schweizer Theologen Karl Barth, der im Advent vor 46 Jahren verstarb.

„Es wird regiert.“

Für einen, der den Großteil des bis dato gewalttätigsten Jahrhunderts der Menschheitsgeschichte mit zwei Weltkriegen und der Schreckensherrschaft unmenschlicher Terrorregime in Europa überschaute und theologisch begleitete, ist dies ein bemerkenswerter Abschiedssatz.

Bemerkenswert ist auch, dass er im Advent gesprochen wurde. Denn zum Advent, gerade zum 1.Advent, wird dieser Satz mehr denn sonst im Kirchenjahr unterstrichen. „Es wird regiert.“

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!

Oder, wie wir’s im vertrauten Versmaß noch singen werden: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Es kommt der Herr der Herrlichkeit.“

„Es wird regiert.“ Können wir das glauben, gar tröstend zusprechen, wenn andere ihre Seelennot vor uns ausschütten? Oder steht uns der Zweifel auf die Stirn geschrieben angesichts eines solchen aus der Welt gefallenen, weil zu steilen Satzes?

Wer so etwas behauptet, fehlen dem nicht wichtige Informationen zur Weltlage? Fehlt dem nicht eine gehörige Portion Einfühlungsvermögen angesichts der allgegenwärtigen Not? Fehlen dem nicht allzu menschliche Erfahrungen mit den Abgründen des Lebens, der Mitmenschen und, ja, auch der Abgründigkeit seines eigenen Wesens?

Im Gegenteil. „Es wird regiert.“ Dieser Satz hat all dies sehr wohl im Blick. Noch mehr: gerade im Angesicht dieses Satzes ist die ganze Heillosigkeit, der wir ausgesetzt sind und der wir uns selbst auch aussetzen, überhaupt ernsthaft in den Blick zu nehmen – nur im Angesicht dieses Satzes, der zugleich Widerspruch, Seelentrost und Bußruf in einem ist.

Widerspruch ist er gegen die herrschenden Verhältnisse. Die Herrscher dieser Welt, die auch unsere Seele beklemmen, sie werden nicht zum Ziel kommen.

Die Not um uns, der wir mit unserer kleinen Kraft nicht Herr werden, ihr wird ein anderer Herr: der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit. Einer, dem die Vollmacht gegeben ist, in die Hölle hinab zu steigen und doch am dritten Tage als Auferstandener von dort zurückzukehren.

Also: „Es wird regiert.“ – selbst in der Hölle.

Ein Trost möge das – hoffentlich – sein für all jene, denen die Hölle auf Erden nicht fremd ist, denen vielmehr ihre Sinne im Reich des Todes verdunkelt wurden. Die von den Schlachtfeldern des Lebens den Geruch der Verwesung in der Nase, das Geschrei der Gequälten in den Ohren und das Blut der unter die Räder Gekommenen an den Händen haben. Ausgebrannte Menschen.

„Es wird regiert!“ Wider die Erfahrung dieser Menschen, wider ihre Vernunft wird dies gesagt. Ein Friede Gottes wird behauptet, der höher ist als all unsre menschliche Vernunft. Ich glaube: er muss behauptet werden.

Denn unsre menschliche Vernunft ist zu ambivalent, zu janusgesichtig, zu wankelmütig, um ihr Wissen und Können nur in den Dienst dieses Friedens stellen zu wollen. Von anderem wird sie ebenso getrieben, diese menschliche Vernunft – von Angst und Gier, von Neid und Ignoranz, von Selbstherrlichkeit und Maßlosigkeit.

Ambivalent wie die Menge, denen der HERR der Heerscharen auf Erden begegnet, als er vom Himmel herabsteigt. „Hosianna dem Sohn Davids!“ rufen sie den einen Tag, um am anderen Tag, ohne mit der Wimper zu zucken, „Kreuziget ihn!“ zu rufen.

Kein Wunder, dass der Einzug in Jerusalem das Evangelium des 1.Advent ist.

Wir kennen das:

Wer heute hoch geschrieben wird, kann morgen schon einen tiefen Fall erleben. Wer sich heute noch auf der Karriereschiene befindet, kann morgen schon auf dem Abstellgleis landen. Wer heute noch unser Bündnispartner ist, könnte der Feind von morgen sein.

Auf die Ambivalenz des menschlichen Herzens ist kein Verlass. Der HERR am Kreuz zeugt von dieser Ambivalenz.

Daher ist er solch ein Ärgernis den einen, die dieser menschlichen Ambivalenz nicht ins Gesicht blicken wollen. Er ist Torheit den anderen, die sich klüger wähnen, weil sie eine angeblich realistischere Einschätzung der weltlichen Lage besitzen – und ihre Schäfchen noch schnell ins Trockene bringen.

Den Seligen jedoch ist dieser Gekreuzigte Trost und Gotteskraft – weil sie in ihm den HERRN der Heerscharen erkennen können.

Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört: der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles.Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.

Wer sind wir in all dem aber? Die Ärgerlichen, die Klügeren, die Seligen? Sind wir das Geschlecht, das nach dem Gott seines Heiles fragt? Können wir glauben, dass „regiert wird“?

Wenn nicht, dann GottseiDank.

GottseiDank, dass Advent ist, wo wir uns auf die Ankunft des HERRN der Heerscharen einstimmen.

GottseiDank, dass wir Psalmen hören und singen wie diesen, die uns einladen, das Antlitz unseres Gottes zu suchen.

GottseiDank, dass unser wankelmütiges Herz nicht alleingelassen wird, sondern wieder neu lernen darf, dass regiert wird – durch Worte, in denen diese wahre Wirklichkeit für unser Herz auf immer und ewig aufgehoben ist.

Es wird regiert – von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert