Einer trage des anderen Last

In der Coronakrise ist vermutlich vielen ein Licht aufgegangen, wozu. Millionen von Arbeitnehmer*innen konnten über das Kurzarbeitergeld aus der Arbeitslosenversicherung in Lohn und Brot bleiben, obwohl ihr Job vorübergehend einfach weg war. Viele Eltern konnten dank eines erweiterten Kinderkrankengeldes ihre Kinder deutlich länger zuhause betreuen, als Kitas und Schulen dicht machten. Auch wenn dies für viele oft nur die allergröbsten Sorgen beseitigte, so war es doch in den schweren Wochen des vergangenen Jahres eine greifbare Hilfe.

Die sozialen Sicherungssysteme, die es seit bald 140 Jahren in unserem Land gibt, sind eine Hilfe, tagtäglich. Notwendige Operationen treiben Menschen in Deutschland nicht in den Ruin. Arbeitslosigkeit bedeutet nicht sogleich Armut. Die allermeisten alten Menschen in unserem Land können dank Renten- und Pflegeversicherung einen würdigen Lebensabend erleben. Und warum? Weil die Gesunden und Leistungsfähigen, die, die sich fragen könnten, ob es sich für sie lohnt, solidarisch einzahlen.

Einer trage des anderen Last.“ heißt es in der Bibel im Galater-Brief des Paulus (Gal 6,2). Einer trage des anderen Last, so leben wir es in diesem Land tagtäglich dank eines Sozialversicherungssystems, in dem der Aufruf zur Nächstenliebe, zur Solidarität Form angenommen hat und die meisten wie selbstverständlich mitmachen. Dabei lässt sich greifen: „Solidarität ist Zukunft“, wie das diesjährige 1. Mai-Motto lautete.

Zukunft, weil Arbeitnehmer*innen aus der Kurzarbeit wieder direkt nach der Corona-Durststrecke durchstarten können. Zukunft, weil Eltern sich nicht völlig aufgerieben haben zwischen Home Office und Home Schooling. Zukunft, weil Abertausende von Menschenleben in unseren Krankenhäusern landauf landab gerettet wurden.

Natürlich sind unsere sozialen Sicherungssysteme bei weitem nicht perfekt. Auch das wurde während der Corona-Pandemie sehr deutlich. Gerade im Bereich der Pflege konnte man sehen, wie der Anspruch einer guten Pflege und die Wirklichkeit eines dauerbelasteten Pflegepersonals auseinanderklaffen. Und man konnte wahrnehmen, wie die Betreuung Langzeit-Arbeitsloser auch gut funktioniert, wenn man die Sanktionen weitgehend ruhen lässt.

Auch Post-Corona stehen viele Aufgaben an. Wie gut sind unsere sozialen Sicherungssysteme auf den demografischen Wandel vorbereitet? Wie kann Pflege in unserem Land so finanziert werden, dass die Leistungen für die zu Pflegenden und der Lohn für die Pfleger*innen stimmen und niemand finanziell überfordert ist? Was braucht es, um noch mehr Menschen aus der Arbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Wie können wir noch mehr Menschen im Alter so absichern, dass sie nicht in Altersarmut leben müssen – gerade die, die zeit ihres Lebens viel unbezahlte oder schlecht vergütete Care-Arbeit geleistet haben?

Das sind nur einige Fragestellungen. Insgesamt jedoch dürfen wir festhalten, dass unsere sozialen Sicherungssysteme schon heute sehr, sehr viel leisten, dass „Solidarität Zukunft ist.“

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