Mütend

Es gibt so viele Gründe, auch in unserem Kreis „mütend“ zu sein. Fehlt uns nicht die Gemeinschaft, die Gespräche am Buffet, beim Kaffee, beim abendlichen Wein? Fehlen uns nicht Gebet und Gottesdienst mit dem geteilten Brot und Wein, dem gemeinsamen Gesang und dem gemeinsamen Hören, dem Blick auf Kreuz und Altar?

Fehlen uns nicht die Zusammenkünfte in den regionalen Arbeitsgruppen, nicht nur virtuell, sondern im real life, die so selbstverständliche Körperlichkeit des Kontakts, die uns erst wesentlich wurde, als sie nicht mehr möglich war?

Vielleicht nicht „mütend“, aber doch traurig kann einen dies stimmen – und das trotz all dem, was in einem Jahr Corona ja auch neu wurde und gelungen war. Die WhatsApp-Gruppen und die Informationsmails verbunden mit geistlichen Impulse, die vielen digitalen und teils auch Open-Air-Zusammenkünfte, die Video- und Telefonandachten, die gut besuchten Formate Purpose 2020 und die KI-Tagung, das Bereitschaftstelefon und die Erarbeitung eines neuen Drei-Jahres-Themas, an dem wir uns nun abarbeiten können, womit wir ja heute schon begonnen haben. 

Das mag hoffnungsfroh stimmen oder auch nicht. Ein Ersatz ist es nicht für das, was eben nicht sein konnte – und was schmerzlich vermisst wurde. Und schmerzlich vermisst wurde es ja, weil es uns so viele Jahre geschenkt war. Das begreifen wir jetzt, wo es nicht sein kann.

Menschen, die nicht beten, die sich nicht zu Gottesdiensten versammeln, die nicht im Abendmahl mehr zu sehen glauben als Brot und Wein, werden diesen Schmerz nicht nachempfinden können.

Hier kommt eine Ambivalenz unseres Glaubens zur Sprache, die auch hinter den Worten des Paulus steht, die wir der heutigen Tageslosung entnehmen und die heute auch schon zu hören waren. So schreibt der Apostel der Gemeinde in Thessalonich:

„Freut euch in jeder Lage! Hört niemals auf zu beten! Seid für alles dankbar, so will es Gott in Jesus Christus von euch.“

Wenn er dies schreibt, dann eben an eine im Glauben verzagte Gemeinde. Sie war zermürbt von Anfeindungen von außen und zugleich von inneren Zweifeln – Zweifeln angesichts dessen, dass aus ihrer Mitte Brüder und Schwestern vom Tod eingeholt wurden, bevor der Herr, der doch den Tod besiegt hatte, zurückkehrte. 

Diese Verzagtheit – und hier liegt die Ambivalenz begründet – liegt im Glauben selbst begründet. 

Wegen ihres Glaubens an den Auferstandenen wurde die Gemeinde angefeindet, wegen ihres Glaubens verzagte sie angesichts des Todes in ihrer Mitte. 

Anfeindungen von außen kennen wir – anders als Gemeinden in anderen Kulturkreisen – kaum. Aber wir wissen um den realen Schmerz, den der Tod bereiten kann. Das letzte Jahr hat uns die gewaltige Macht des Todes hautnah erfahren lassen, denn es ist sein Dunkel und sein Wüten, das sich auch über unseren Teil der Welt gelegt hat.


„Der alt böse Feind, mit Ernst er’s jetzt meint; groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.“

Ist es nun im Angesicht dieser Todesmacht Zumutung oder Ermutigung, wenn Paulus schreibt:

„Freut euch in jeder Lage! Hört niemals auf zu beten! Seid für alles dankbar, so will es Gott in Jesus Christus von euch.“?

Es sind Worte, die einer verzagten Seele in Erinnerung rufen kann, dass „nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns.“ Nichts, auch nicht Corona, auch nicht irgendein Coronamanagement, nicht irgendeine Not. Nichts kann uns trennen. Auch der Tod nicht.

Wer sich freut, der lacht dem Tod ins Gesicht. Wer betet, der legt seine Todesangst dem zu Füßen, der den Tod erlitt und durchschritt, um diesen Weg mit ihm täglich zu gehen. Wer dankbar bleibt, der heißt den Tod einen Dieb dessen, was ihm an Gottes guten Gaben geschenkt ist – gestern, heute und morgen.

Insofern sind diese Worte ein Aufruf zu einem echten Widerstand gegen den Tod. „Wir Christen sind Protestleute gegen den Tod.“ Pointierter als der württembergische Pfarrer Johann Christoph Blumhardt kann man es kaum sagen.

Ist es das, was wir dem „mütenden“ Gemütszustand als Christinnen und Christen im AEU jetzt entgegenhalten können? Wenn wir uns selbstverständlich als Kirche begreifen, wie Friedhelm Wachs dies heute betont hat, als Kirche für und mit unternehmerisch verantwortlichen Menschen, dann höre ich da einen Auftrag, einen Purpose für uns aus den Worten des Paulus.

Also:

„Freut euch in jeder Lage! Hört niemals auf zu beten! Seid für alles dankbar, so will es Gott in Jesus Christus von euch.“ Amen.

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