Ist uns das bewusst, wenn wir vom lieben Gott sprechen?

So auch nun eben Hosea, der alte Prophet. Verschmähte Liebe ist es, die er beschreibt. Das Kindlein, das Gott rettete, hegte und pflegte, umsorgte und heilte, das Kindlein, das so viel der Liebe erfuhr, wusste mit dieser Liebe nichts Rechtes anzufangen. Die Heilsgeschichte, begonnen im Sklavenhaus zu Ägypten, findet ihr Ende im Gelobten Land, das auf absehbare Zeit keines mehr sein wird, wenn die neuen Sklavenhalter, diesmal aus Assur, in dieses Land von Norden einfallen und das Volk unterwerfen.

Eine Tragödie, nicht unähnlich anderer Tragödien, die von verschmähter Liebe in der Bibel erzählen. Der Sohn, der sich das Erbe des Vaters ausbezahlen lässt, nur um es zu versaufen und zu verschenken und schließlich mit seinem verschleuderten Leben bei den Schweinen zu landen (Lukas 15,11-32). Oder der Jünger, der am Tisch mit seinem Meister ihm noch großmäulig zusichert: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ (Lukas 22,33), um später, alleine im Hof des Hohepriesters diesen seinen Meister mehrfach zu verleugnen (Lukas 22,54-62). 

Wenn wir vom lieben Gott sprechen, dann sollten wir das nicht vergessen: dass die Liebe dieses Gottes oft genug verschmähte Liebe ist, nicht gut genug, nicht interessant genug, nicht sichtbar genug, nicht tragfähig genug – für uns, für sein Volk, erwählt und berufen. Hinausgerufen aus den versklavenden Mächten dieser Welt als getaufte Jünger des Meisters aus Israels, wie einst sein Volk selbst, unsere großen Geschwister, hinausgerufen aus dem Sklavenhaus Ägypten: „Du bist mein liebes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (Markus 1,11)

Ist es da wunderlich, dass Gott sie ihrem Schicksal überlässt, so wie es Hosea beschreibt: „Er muss zurück nach Ägyptenland, und Assur wird sein König sein; denn sie haben sich geweigert umzukehren. Das Schwert wird in seinen Städten tanzen und seine Wahrsager vertilgen und sie fressen um ihrer Pläne willen. Mein Volk verharrt in der Abkehr von mir. Sie rufen zu Baal, dem Hohen, doch der richtet sie nicht auf.“ (Hosea 11,5-7) Überlassen einer fremden Macht, einem fremden Gott, der nicht helfen kann. Zurückgelassen im Schweinestall, alleingelassen mit der Lebenslüge: „Ich kenne ihn doch nicht!“

Nun, es wäre nicht wunderlich, ganz und gar nicht wunderlich. Wie oft hat sich dieser Gott in seiner verschmähten Liebe dann auch gedacht, ein neues Kapitel aufzuschlagen. „Ich bin zornig auf dieses Volk und will es vernichten. Aber dich, Mose, werde ich zu einem großen Volk machen.“ (Exodus 32,10) Und doch, und doch…

„Wie kann ich dich preisgeben, Ephraim, dich ausliefern, Israel? Wie kann ich dich preisgeben gleich Adma und dich zurichten wie Zebojim? Mein Herz wendet sich gegen mich, all mein Mitleid ist entbrannt. Ich will nicht tun nach meinem grimmigen Zorn noch Ephraim wieder verderben. Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte. Darum komme ich nicht im Zorn.“ (Hosea 11,8f.)

„Wie kann ich dich preisgeben?“ Gott bringt es nicht übers Herz, der verschmähte, lächerlich gemachte, hintergangene, verlassene, belogene Gott bringt es nicht übers Herz. Der Vater läuft dem Sohn entgegen, als dieser sich nach Hause aufmacht, mit weit aufgerissenen Armen, und der Meister, er taucht am Strand auf und fragt seinen Jünger, den Menschenfischer: „Hast du mich lieb?“ Gott bringt es nicht übers Herz, die Geschichte mit uns zu beenden, auch wenn wir ihr bedenkenlos ein Ende setzen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Gottes Wimper zuckt, ja, auch im Zorn, der doch nichts anderes ist als Ausdruck des Schmerzes eines verschmähten Liebhabers, einer zurückgestoßenen Mutter, eines abgewiesenen Vaters ist. 

Ist uns das bewusst, wenn wir so gerne vom lieben Gott sprechen?

Amen. 

(Andacht gehalten über Hosea 11,1-9 bei der regionalen Arbeitsgruppe des AEU München/Bayern am 28.04.2021)

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