Gott etwa? So legt es der Anfang des Buches nahe, der so genannte Prolog im Himmel, wahrscheinlich später der Ursprungsstory als Deutung vorangestellt. Dort wird erzählt, wie der Satan höchstpersönlich Gott zu einer Wette herausfordert. Hiob verehre doch Gott nur, so provoziert der teuflische Gegenspieler, weil Gott ihm ja so ein tolles Leben ermöglicht. Hiob glaubt doch nicht wirklich, er betet doch nur seinen Sugardaddy an. Was aber, wenn Gott ihm alles, aber auch wirklich alles bis auf sein nacktes Leben wegnehme? Dann wird sein Halleluja gewiss verstummen.
Eine zynische Wette, in deren Verlauf Gott und Satan zusehen, wie der Mensch Hiob sich als Versuchstier unter den vereinbarten Laborbedingungen verhält.
Eine Deutung vielleicht für all jene, die einen Gott und all das Leid in der Welt noch nie so wirklich zusammengebracht haben. Rein logisch kann Gott, wenn es ihn denn gibt, doch angesichts des Zustands unserer Welt entweder zynisch, machtlos, desinteressiert oder, ja, mit verantwortlich für diesen Zustand sein, ihn gerade zu wollen, warum auch immer – hier eben, weil er einen wie den Hiob einfach mal auf den Prüfstand stellen will.
Variante Zwei der Antwort auf die Schuldfrage ist uns auch vertraut: wenn Gott aus der Verantwortung genommen wird, dann muss es ja der Mensch sein, in dem Falle der Hiob. Nachdem Hiob alles verliert und in Sack und Asche da sitzt, tauchen drei seiner Freunde auf. Die halten allesamt lange Reden, in denen sie nichts anderes sagen. Irgendwie habe Hiob was falsch gemacht. Wenn nicht bewusst, so auf jeden Fall unbewusst, habe er Gott erzürnt; und wenn er selbst keine Schuld auf sich geladen habe, so läge sein Fehler mindestens darin, einfach nicht zu verstehen, warum ihm Gott das alles antue. Der tiefere oder höhere Sinn, wie auch immer, er sei ihm eben verborgen. Daher solle Hiob doch bitte um Gottes willen darauf verzichten, sich zu beschweren.
Auch wenn die Freunde es wirklich gut mit Hiob meinen – immerhin verbringen sie Wochen sitzend neben ihm, erst schweigend, dann redend – so verpassen sie ihm mit ihren rhetorischen Moralkeulen nichts anderes als einen Maulkorb.
Gut also, dass Hiob sich nicht zum Schweigen bringen lässt, sondern redet, mit ihnen, aber insbesondere auch mit Gott.
Denn das ist ja das Bemerkenswerte: In seiner Gottverlassenheit geht er den Gott frontal, dessen Güte und Segen ihm abhanden gekommen ist. Von Gott selbst will er eine Antwort, eine Reaktion, ein Sich-Verhalten. Unerträglich erscheint nicht die Not, sondern das Schweigen Gottes inmitten der Not. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Psalm 22,2)
Und dann, dann beginnt Hiob zu argumentieren, zu diskutieren mit Gott. Nein, er verbirgt sich nicht vor dem Zorn des Allmächtigen, weil er weiß, dass solch ein Verbergen unmöglich ist. „Wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“ (Psalm 139,7f.)
Und er fordert Gott heraus, ohne sich größer zu machen, als er als allzu vergänglicher Mensch ist, dessen Tage auf Erden gezählt sind – und zwar von Gott selbst. So sagt es ja Hiob im Stile eines biblischen Weisheitslehrers: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann.“
Was aber soll dann der Zorn, die Strafe, die Demütigung des Menschen durch Gott, das, was Hiob durchlebt und durchleidet? Besser doch, Gott ließe den Menschen gänzlich in Ruhe. Es ist die Empörung eines zutiefst Verletzten, Betrogenen, Leidenden. „Gott, lass mich doch in Ruhe mit deinem Scheiß.“ Nachvollziehbar, dieser heilige Zorn – und doch nicht Hiobs letztes Wort. GottseiDank!
Übrigens, wer sich hier um Gottes Majestät sorgt, dem sei gesagt: keine Sorge, Gott hält das aus. Amtlich bestätigt, steht ja in der Bibel, kommt ja aus dem Munde eines Gottesfürchtigen und Gerechten. Solche Majestätsbeleidigungen finden sich nicht nur hier.
Bei so manchem Psalm lässt sich Ähnliches entdecken. Ein Trost vielleicht für den einen oder die andere, dass man Gott nicht nur klagen, sondern auch anklagen kann. Gott hält das aus, keine Sorge.
Worauf Hiob uns hier verweist, ist ein Paradox: in der größten Gottesferne wählt er Worte, die man nur wagt, wenn man sich des anderen gewiss ist. Hiob bleibt ja Gottes gewiss, gewiss, dass Gott Herr über Leben und Tod ist und bleibt, gewiss, dass Gott, der Allzuferne, nah genug ist, um jedes einzelne seiner Worte zu hören, gewiss sogar, dass „dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen“ (Röm 8,18) könnten.
Denn so spricht Hiob weiter: „Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest!“
Auf Hoffnung, so spricht er, dieser Hiob. Auf Hoffnung, dass Gottes Zorn, Gottes Schweigen und Verborgensein aufhören wird. Auf Hoffnung, dass im Totenreich, da, wo das Leben doch endet, Gott einen Neuanfang zu setzen imstande ist.
„Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.“, so bringt Hiob diese seine Hoffnung zur Sprache, im Irrealis des „würde“, denn diese Hoffnung entspricht ebenso gar nicht seiner Realität.
Worauf sich diese Hoffnung gründet? Auf den Glauben, von dem doch die gesamte Schrift, Altes wie Neues Testament, immer wieder zeugt. Ein Glaube, der sich sehnt nach dem Gott, der erbaut und rettet, der heilt und versöhnt, der segnet und liebt.
Es ist nicht so, dass dieser Glaube sich beizeiten erfüllen muss, dass er wie selbstverständlich das Bilderbuchleben eines Gottesfürchtigen und Gerechten hervorbringt mit viel Vieh und Nachwuchs und Gesinde.
Man lese dazu nur einmal das ganze 11.Kapitel des Hebräerbriefes, um sich ein gutes Bild von diesem Glauben zu machen und denen, die da als Zeugen des Glaubens erwähnt werden. Da war bei weitem nicht immer Zuckerschlecken und High Life. Da war auch – und ich zitiere – „Mangel, Bedrängnis, Misshandlung, Spott und Geißelung, Fesseln und Gefängnis.“
Was für ein Segen, wenn es uns anders, nämlich einfach gut geht. Was für ein Trost aber auch, wenn wir Not leiden. Das dürfen wir mitnehmen von dem, was Hiob da als Hoffnung des Glaubens zur Sprache bringt: dieser Glaube ist weder aufgehoben in unserem Wohlbefinden noch in unserer Not. Er ist weder aufgehoben in unserem Wollen noch unserem Können, weder in unserer Gottesfurcht noch in unserer Sünde.
Er ist für uns hingegen nachvollziehbar geworden in der Geschichte dessen, in dessen Nachfolge wir stehen, dessen Namen wir tragen, dessen gottverlassenen Moment wir mitten in unseren Kirchen demonstrativ ausstellen, wohlwissend, wie diese Geschichte weiter geht. Sie endet eben nicht in der Gottverlassenheit, weil Gott den Gekreuzigten ruft, weil Gott nach ihm verlangt, weil Gott an ihn im Totenreich eben doch denkt.
Nennen wir es Gottes Treue, nennen wir es Gottes Liebe, nennen wir es den Bund, den Gott mit uns geschlossen hat – alles biblische Worte, in die wir uns versenken dürfen, wenn Gott uns fern ist, so wie er Hiob fern war. Und vergessen wir dabei nicht, dass Zeiten der Gottverlassenheit nie und nimmer das letzte sind, was der Gott Hiobs, der Gott Jesu, der ja unser Gott ist, uns zumutet. Amen.