Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus. (2.Timotheus 3,14f.)
Liebe AEU-Gemeinde,
wenn ich dieses Jahr im AEU vor dem Hintergrund dieser Worte aus dem 2.Brief des Paulus an seinen Schüler Timotheus Revue passieren lasse, dann fällt mir so manches Gespräch ein, das ich mit Mitgliedern unseres Arbeitskreises geführt habe. So manches Gespräch, in dem mir Mitglieder erzählt haben, was ihnen anvertraut ist und von wem sie es gelernt haben. Die Eltern, die Großeltern, der Tauf- oder Jugendpfarrer. Irgendwo in der eigenen Biographie finden sich für den eigenen Glauben prägende Gestalten.
Kein Wunder, denn Glaube lebt schon immer vom Zeugnis, er wird vom Zeugnis anderer geweckt. Das mögen einprägsame Sätze oder eine beständige Haltung sein, die einem ganz nahe bringen, was es heißt, ein Christ, eine Christin zu sein, diesen Namen zu tragen, der auf den verweist, auf den wir hoffen im Leben wie im Sterben.
Das erlebe ich auch zunehmend als den besonderen Schatz, den wir hier im Miteinander im AEU haben: dass wir uns untereinander austauschen, einander Zeugnis geben können, wie es uns geht als Christinnen und Christen in der Welt, gerade auch in der Welt der Wirtschaft. Es ist nun einmal eindrücklich, wenn ein Unternehmer von seinen Anfechtungen zu erzählen beginnt, von Situationen, in denen er Zuflucht suchte im Gebet, von Erfahrungen, die er rückblickend nur als Segen begreifen kann. Da wird das, was wir Glauben nennen, Fleisch und Blut, ganz greifbar, ganz nahe.
Natürlich ist dieses Zeugnis, weil es menschliches Zeugnis ist, immer auch gebrochen. Natürlich erkennt man mit zunehmendem Alter auch an der Großmutter, welche Vorbild im Glauben war, menschliche Schattenseiten. Natürlich ist auch der bewunderte Pfarrer nicht immer der ideale Seelsorger. Natürlich macht auch ein christlicher Unternehmer, so bewegend und wahrhaftig sein Zeugnis ist, auch allzu menschliche Fehler. In diesem Zeugnis sein geht es ja auch gar nicht um moralische Vollkommenheit, um die ideale Verkörperung irgendwelcher christlicher Werte, denen wir dann als Bewunderer nachzueifern hätten.
Zeuge sein, das wird ja auch in den Worten des Paulus an seinen Schüler Timotheus deutlich, heißt ja nicht, auf sich selbst verweisen als die Idealbesetzung in der Rolle einer christlichen Existenz. Zeuge sein heißt auf den verweisen, auf den wir alle hoffen dürfen und um Gottes willen auch hoffen mögen als den, der zu uns kommt, um uns von unserem Irrglauben an uns selbst zu erretten. Denn als solche sind wir in der Welt unterwegs – als die, die dieser Rettung bedürfen.
Ich weiß nicht, wie gerne Sie sich genau an dies erinnern lassen. Ich für meinen Teil vergesse das gerne. Lieber retten als gerettet werden. Umso mehr bewegen mich Menschen, die von den Momenten zu erzählen wissen, in denen Sie mit ihrem Latein am Ende waren. Und wenn ich so Revue passieren lasse, welche Abende hier in dieser Runde mir am bewegendsten in Erinnerung geblieben sind, dann doch die, wo Menschen von solchen Momenten zu erzählen wussten, von ihren Anfechtungen, von ihrer Not, von ihren Zweifeln, von den Momenten, in denen sie sich nicht selbst zu retten wussten, sondern der Rettung bedurften.
Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist…
Ich höre diese Worte des Paulus an seinen Schüler Timotheus so, dass dieses Lernen, von dem er da spricht, kein Pauken irgendwelcher christlicher Formeln oder sinnentleertes Rezitieren biblischer Verse ist. Es ist vielmehr ein Einüben in eine christliche Existenz, indem wir in unserem Alltag die Tragfähigkeit dessen erproben, was uns im Hören auf die Schrift, im Gebet und im geschwisterlichen Austausch immer wieder anvertraut wird. So machen wir es ja hier miteinander: wir tauschen uns geschwisterlich aus, wir hören auf die Schrift und wir beten miteinander – und nehmen hoffentlich davon einiges mit in den eigenen Alltag.
So wird das, was uns anvertraut ist, immer ein bisschen mehr – und es mag sein, dass Einsichten, die uns vor drei Jahren getragen haben, heute einer Revision bedürfen, weil sie im Licht unseres Alltags, im Licht eines Wortes aus der Schrift, das uns nicht loslässt, im Licht einer Begegnung, die uns ins Nachdenken gebracht hat, neu zu bewerten wären.
Umso mehr freue ich mich auf das kommende Jahr, wenn wir Personen zu uns einladen, die uns aus ihrer Warte berichten, was es heißt, in ihrem jeweiligen Aufgabenfeld berufen zu sein. Wir folgen damit den Spuren von Martin Luther, der, so viel möchte ich heute dazu schon sagen, das Berufen-sein sehr konkret gedacht hat, nämlich von dem sehr konkreten Verantwortungskontext, in den jemand gestellt ist und dessen Herausforderungen er sich beileibe nicht ausgesucht hat, die ihn aber umso mehr fordern. In solchen Verantwortungskontexten steht die Tragfähigkeit dessen zur Probe, was uns anvertraut ist. Man könnte es auch schlichter sagen: Hier steht unser Glaube auf der Probe, unser Gottvertrauen.
Daher lohnt es sich auch für uns, diese Worte des Paulus in unser kommendes Jahr mitzunehmen und zu bedenken, was sie für uns, in dem je eigenen Verantwortungskontext, in dem sich jede und jeder sehr konkret bewegt, bedeuten könnten: Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus.
Amen.