Was aber, wenn die Welt tatsächlich untergehen würde? Das ist ja die Frage, die sich zunächst einmal aufdrängt angesichts dessen, was wir eben bei Lukas gehört haben. Diese Worte, die ja in ein noch viel umfassenderes Weltuntergangsszenario eingebettet sind, gaben schon vielen in der Menschheitsgeschichte Vorlage und Anlass zu Weltuntergangsprognosen und -spekulationen. Erstaunlich ist für mich dabei, dass immer wieder Menschen aufgetreten sind, die aus dem Brustton der Überzeugung sagen konnten: „Jetzt ist es so weit mit dem Ende der Welt. Schaut doch, was hier in der Bibel bei Lukas steht. Genau das sehen wir doch, wie es in unserer Zeit passiert.“ Oft waren diese Untergangspropheten geradezu von einer Erlösungs-Sehnsucht getrieben, dass diese Welt endlich endet, damit die neue Welt beginnen kann. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Eine Einladung zur Weltflucht könnte man sagen und dann denken: „Ja, aus dem Alltag fliehen, das mache ich auch gerne mal.“ Es gibt da bloß einen kleinen, aber wesentlichen Unterschied. Während bei den kleinen Alltagsfluchten eine Rückkehr in den Alltag noch möglich ist, ist bei dem, was hier angedeutet wird, solch eine Rückkehr unmöglich. Denn die Welt, in der dieser Alltag stattfindet, wäre eben nicht mehr vorhanden.
Sind wir bereit, so radikal zu denken? Ist das Ende der Welt für uns ein realistisches Szenario?
Zwar nehmen wir wahr, wie wir Menschen die Welt verändert haben und dabei das Risiko stetig erhöhen, uns selbst unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Aber wer geht schon tatsächlich davon aus, dass die Welt untergeht?
All die Bedrohungen, wegen derer während meines Lebens Menschen auf die Straße gegangen sind, seien es der Klimawandel heute oder früher ein Atomkrieg, das Ozonloch oder der Saure Regen, haben eines gemeinsam: es ging nie um das Ende der Welt; es ging um das Ende der Menschheit.
An einem Fortbestand der Welt hat dabei eigentlich niemand gezweifelt. Wir haben ja in der Schule gelernt, dass die Erde sich dreht, so lange die Sonne noch glüht und das Weltall nicht in sich zusammenfällt. Ein Weltenende, das nichts, aber auch gar nichts mit mir zu tun hat, da ich da schon lange tot bin. Nach mir die Sintflut, so what?
Was die Worte aus dem Lukas-Evangelium so anders machen als unser Schulwissen, ist die Erwartung, dass das Ende der Welt nahe ist, mir und dir und Ihnen. Es ist so nahe, nicht, weil es morgen oder übermorgen passieren wird, sondern weil es mich und dich und Sie schon heute befragt, ob wir mit diesem Ende rechnen oder nicht. Denn dieses Ende wird als Ziel beschrieben – und wirft daher Fragen auf:
Worauf läuft denn unsere Welt, läuft denn unsere Geschichte, laufen unsere Geschichten letztlich zu?
Was ist das Ziel allen menschlichen Treibens? Was ist das Ziel des menschlichen Geborenwerdens und –sterbens? Was ist das Ziel all unserer Mühe und Arbeit? Was ist das Ziel all der Erfolge und Niederlagen, der Glücksmomente und Notsituationen, der Umbrüche und Aufbrüche, der großen wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen und der kleinen alltäglichen Routinen?
Bei Lukas ist das Ziel bekannt. Es wird beschrieben als die Rückkehr des Heilands. Wenn diese Welt untergeht, dann bricht sein Reich endgültig und in voller Pracht an. Und dann ist der Weltuntergang kein Drama, sondern wird mit einem „GottseiDank“ aus tiefstem Herzen freudig empfangen.
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Ist das nachvollziehbar?
Vielleicht ein Stück weit, wenn einem schon einmal eine Welt zusammengebrochen ist und man sich gefragt hat, was da überhaupt noch trägt und tröstet – und zu glauben lernt, dass dies nichts anderes sein kann als Gottes große Gnade.
„All Morgen ist ganz frisch und neu. Des Herren Gnad und große Treu, sie hat kein End den langen Tag. Drauf jeder sich verlassen mag.“ So heißt es in einem meiner liebsten Kirchenlieder.
Und diese Gnade, die wird, so erzählt es Lukas eben, in ihrer Gänze am Ende der Welt, am Ziel dessen, worauf der Gang unserer Dinge hinführt, offenbar werden.
Da wird kein Schwarzes Loch sein, keine Stille im Weltall, keine Hölle und kein Schattenreich.
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Da wird es vielmehr Advent und Weihnacht und Ostern in einem sein, da wird das Heil, das bereits zugegen war und das wir seither in unseren Gottesdiensten feiern und erinnern, das wir in so manchen alltäglichen Momente bei uns wähnen und in anderen so bitterlich erflehen, da wird dieses Heil seine ganze Wirkung unter uns entfalten.
Da wird dann endgültig Sinn machen, dass wir in jeder Adventszeit die Ankunft Jesu inszenieren, obwohl er doch schon längst zu uns gekommen ist, weil dieses Inszenieren uns immer wieder neu auf dieses Ziel ausrichtet, auf das der Lauf der Dinge sich zuspitzt.
Daher, geliebte Brüder und Schwestern, hört auf Lukas – nicht nur im Advent:
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Amen.
(Predigt über Lukas 21,25-28 im Haus der Bayerischen Wirtschaft am 13.12.2019)